Thomas Röhler ist einer der besten Speerwerfer der Gegenwart – und baut nebenbei für eine erfolgreiche berufliche Zukunft vor. Der Wirtschaftsstudent und Athletenvertreter im internationalen Leichtathletik-Verband versteht sich als Botschafter der Dualen Karriere. Für seine Topleistungen in Sport und Studium ist er mit der Auszeichnung „Sport-Stipendiat des Jahres“ 2018 geehrt worden.
Ob es der großen Hitze im Berliner Olympiastadion geschuldet war? Kaum hatte Thomas Röhler seinen Speerwurf-Sieg bei der Europameisterschaft unter Dach und Fach gebracht, hüpfte er in den Wassergraben der Hindernisläufer – wie einst Hammerwerfer Karsten Kobs 1999 in Sevilla. Er habe einfach „da reingemusst“, erklärte Röhler danach im Interview. Ein seltener Gefühlsausbruch des sympathischen Olympiasiegers von Rio 2016, der häufig so kontrolliert wirkt. Wer ihn nicht kennt, würde vielleicht sogar sagen: ein bisschen verbissen.
Dabei ist Röhler lediglich ein Athlet, der versucht, so wenig wie möglich dem Zufall zu überlassen – im Sport, aber auch bei seinem geistigen Ausgleich als Wirtschaftsstudent. Am Tag nach dem Erfolg bei der Heim-EM stand er ebenso übernächtigt wie glücklich vor den Fernsehkameras und versuchte, schon wieder deutlich gefasster als am Vorabend, das Geschehene zu erklären. Eine Menge Druck sei von ihm abgefallen, gerade, weil die drei deutschen Speerwerfer als Nummer 1, 2 und 3 der Weltrangliste angereist waren und viele eine Medaillenflut erwartet hatten. Am Ende waren es „nur“ zwei. Der deutsche Meister Andreas Hofmann sicherte sich Silber, Weltmeister Johannes Vetter wurde Fünfter.
Es sah so leicht aus, wie Röhler den Speer auf 89,47 Meter schleuderte. Er sagt aber: „Hinter einem weiten Speerwurf steckt viel mehr.“ Er meint damit die akribische (und wegen ihrer ungewöhnlichen Methoden manches Mal kritisch beäugte) Arbeit mit seinem Team in Jena. Er meint die harte Zeit, die er im Jahr davor gemeinsam mit seinem schwer erkrankten Trainer Harro Schwuchow meistern musste. Er meint aber auch die vielen Entbehrungen und Extra-Runden, die er seit geraumer Zeit auf sich nimmt, um nach der sportlichen Laufbahn gut abgesichert zu sein. „Speerwerfen ist eine risikoreiche Sportart, bei der mit jedem Tag Feierabend sein kann“, sagt Röhler. Die vielzitierte Duale Karriere – in der Planung des 27-Jährigen spielt sie schon seit vielen Jahren die Hauptrolle.
Kurz vor den Olympischen Spielen von Rio schloss er an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena erfolgreich seinen Bachelor in Sport und Wirtschaftswissenschaften ab, gönnte sich anschließend erst einmal ein halbes Jahr nur für den Sport. Danach fehlte ihm der mentale Ausgleich: „Es ist wichtig, dass sich der Kopf auch in andere Richtungen bewegt. Ähnlich wie im Sport war mein Gedanke: Das kann noch nicht alles gewesen sein.“
Also ging es zurück ins „Studentenparadies“, wie sie zur Schiller-Uni in Jena wegen des Bahnhofs „Paradies“ und des gleichnamigen Parks, ganz in der Nähe der Hochschule, sagen. Dort, an der Saale, hat Röhler schon so manche Trainingspause mit wissenschaftlicher Fachliteratur verbracht.
Nach dem Bachelor strebt Röhler den Masterstudiengang „Strategy, Management and Marketing“ an – sein Abschluss reichte aber nicht als Zugangsvoraussetzung für den rein wirtschaftlich fokussierten MBA aus.
Über den gesamten Verlauf meiner Karriere als Student und Sportler war eine gelungene Zeitplanung und Strukturierung stets mein Schlüssel zum dualen Erfolg.
Also setzte sich der Athlet mit den Verantwortlichen der Studiengänge zusammen und definierte mit ihnen vertiefende Module und Schwerpunkte, die er in den vergangenen beiden Semestern besuchen und abschließen musste. Einen „erheblichen zeitlichen Mehraufwand“ habe das für ihn neben dem Leistungssport bedeutet, aber einer, der sich für Röhler dreifach gelohnt hat: Mit der Zugangsvoraussetzung für den angestrebten Master, der Goldmedaille beim Saisonhöhepunkt in Berlin und mit der Auszeichnung zum Sport-Stipendiat des Jahres 2018.
Die blaue Bahn im Olympiastadion kannte er bereits von Meetings, aber auch von früheren Meisterschaften. Vor zehn Jahren trat Röhler, damals noch Schüler am Sportgymnasium seiner Heimatstadt, bei den deutschen Jugendmeisterschaften an – im Dreisprung wohlgemerkt. Gegen Gregor Traber – bei der EM 2018 Fünfter über 110 Meter Hürden – hatte er klar das Nachsehen. Erst mit 18 wechselte er zum Speerwurf. „Damals war der Sport ein Stück weit auch Mittel zum Zweck, um das sehr gute Sportgymnasium in Jena besuchen zu können“, sagt Röhler heute. Gebrannt habe er aber schon früher, noch als Springer und Mehrkämpfer, nur für das Werfen.
2018 also die Rückkehr ins legendäre Olympiastadion, wo 1936 mit Gerhard Stöck erstmals ein Deutscher Speerwurf-Olympiasieger wurde. Röhler ist nach Stöck und Klaus Wolfermann 1972 in München erst der dritte Deutsche, der bei Olympia Gold holte. In Berlin sah es in der Qualifikation zunächst aber so aus, als würde der Jenaer die HeimEM verpatzen – die notwendige Weite fürs Finale gelang ihm erst im letzten Versuch. Im Endkampf leistete er sich auf dem Weg zum ersten deutschen EMTitel seit 32 Jahren noch einen unnötigen Fehlversuch beim ersten Wurf. Der Rest ist Geschichte.
Und zwar eine mit Happy-End. Röhler weiß aber auch: Wäre er in Berlin schon vorzeitig gescheitert, hätte man ihm womöglich seine universitäre Doppelbelastung zum Vorwurf gemacht. In Gesprächen erklärt er oft gebetsmühlenartig, wieso er neben dem Sport überhaupt studiert, muss sich nicht selten dafür sogar fast entschuldigen. Dass Athleten auf seinem Niveau ein zweites Standbein benötigen, ist den meisten gerade in Röhlers ostdeutscher Heimat, wo herausragende Sportler zu DDR-Zeiten finanziell gut abgesichert waren, nicht bewusst.
Viele haben einen verzerrten Eindruck von der finanziellen Situation der Athleten in unserem Land.
Sein Team und er selbst sind davon überzeugt, dass „geistiger Ausgleich nicht nur Sicherheit für den weiteren Lebensweg bringt, sondern auch Vorteile hinsichtlich Fokussierung und Leistungsbereitschaft im Sport“.
Eine Win-win-Situation also. Deshalb habe er es sich zur Aufgabe gemacht, mit medialer Unterstützung, aber auch im Austausch mit Schulen und jungen Talenten, auf internationaler Ebene für die Duale Karriere zu werben. Für seine Top-Leistungen im Sport und Studium erhält Röhler von der Deutschen Bank und der Deutschen Sporthilfe die Auszeichnung als Sport-Stipendiat des Jahres – stellvertretend für alle studierenden Spitzenathleten.
Nun gehört Röhler als Leichtathlet zu den im Vergleich noch deutlich besser gestellten Athleten. Anders als etwa Kanuten oder Turner ist er häufiger in den Medien präsent, hat selten Probleme, solvente Sponsoren zu finden. Dazu trägt natürlich auch die besondere Rolle bei, die das Speerwerfen hierzulande derzeit genießt. Mit dem Olympiasieger und neuerdings auch Europameister Röhler, Weltmeister Johannes Vetter sowie dem Deutschen Meister Andreas Hofmann dominiert die deutsche Elite auch die Weltspitze. Neun der zehn weitesten Würfe 2018 vereinten die drei nationalen Konkurrenten auf sich.
"Wir pushen uns gegenseitig, wir helfen uns auch gegenseitig während der gesamten Saison und den Wettkämpfen“, beschreibt Hofmann die spezielle Situation. Dass sich darüber hinaus alle Athleten und Trainer gut verstehen und untereinander ihre Trainingsinhalte teilen, führe letztlich zu dem herausragenden Erfolg.
Aber auch zu Schattenseiten, die Röhler klar benennt: Damit die deutschen Speerwerfer langfristig international schlagkräftig sein können, kommt es auch auf den Nachwuchs an. Bei drei so dominanten Zugpferden und weiteren starken Werfern in der zweiten Reihe ist die Konkurrenzsituation für die U23-Athleten immens. Ihnen müsse man Chancen und Motivation für die kommenden Jahre aufzeigen, sagt Röhler, der den Nachwuchs bei seinem Verein LC Jena selbst ab und zu trainiert.
Bis es so weit ist, treibt sich das Triumvirat Röhler, Hoffmann, Vetter erst einmal weiter gegenseitig zu Höchstleistungen und Bestweiten.
2017 brach erst Röhler den bis dato 22 Jahre alten deutschen Rekord von Raymond Hecht. Acht Wochen später übertrumpfte ihn Johannes Vetter noch einmal. Weiter als die beiden Deutschen warf überhaupt nur der legendäre dreifache Olympiasieger und dreifache Weltmeister Jan Zelezny aus Tschechien, dem Röhler in puncto Körperbau und Stil durchaus ähnelt.
Zelezny, mit 98,48 Metern Weltrekordhalter, trat im Alter von 40 Jahren mit einer Bronze-Medaille bei der EM 1996 zurück. Die Deutschen haben ihre besten Jahre also noch vor sich. Röhler erklärte vor einiger Zeit die 100-Meter-Marke als langfristiges Ziel. Er habe damit eine Barriere aufbrechen wollen, die nur mental und nicht physikalisch bestehe. „Wieso sollten wir eine Grenze setzen, wenn da keine ist?“, fragt der Olympiasieger, Bestweite 93,90 Meter. So bewusst er seine Sätze wählt, Röhler ist keiner, der mit seiner Meinung hinter dem Berg hält. Nicht umsonst ist er seit Anfang des Jahres als erster Deutscher überhaupt Mitglied der Athleten-Kommission des Internationalen Leichtathletik-Verbands IAAF.
Das Amt hat er für vier Jahre inne, bis 2022 geht der Zeithorizont des 27-jährigen Athleten also auf alle Fälle. Den Masterabschluss will er bis dahin auch in der Tasche haben. Ob Röhler aber ebenso lange an den Start gehen wird wie Rekordmann Zelezny, der auch mit ergrautem Haupthaar noch Medaillen sammelte, lässt er offen. Definitiv aber will er dem Sport später einmal erhalten bleiben. Aus ihm spricht der IAAF-Athletensprecher, Meeting-Mitorganisator, Nachwuchstrainer und Karriere-Botschafter, wenn er sagt:
Ich glaube, es gibt viel Gutes zu tun in unserem Sportsystem, und da würde ich gerne helfen.
(Veröffentlicht am 17.09.2018, aktualisiert am 17.07.2019)
Thomas Röhler ist Teil der neuen Markenkampagne der Deutschen Sporthilfe #leistungleben.