Johannes Floors stand im Alter von 16 Jahren vor der Entscheidung, zukünftig im Rollstuhl zu sitzen oder sich die Unterschenkel amputieren zu lassen. Er entschied sich für die zweite Lösung, heute ist er Weltrekordhalter, Weltmeister und Paralympicssieger. Im vergangenen Jahr gewann er dreimal Gold bei der Heim-EM in Berlin. Dazu studiert der gelernte Orthopädietechnik-Mechaniker im Bachelor Maschinenbau und sagt: Die Abwechslung macht’s. Nun steht er zur Wahl zum "Sport-Stipendiat des Jahres 2019".
Johannes, Du bist fulminant in die aktuelle Saison gestartet, hast über 100 Meter und 200 Meter neue Weltrekordmarken aufgestellt, herzlichen Glückwunsch!
Dankeschön. Ja, die Zeiten freuen mich, sie zeigen, dass es im Training gut läuft.
Auf Deiner Homepage begrüßt Du die Besucher mit „…irgendwann fliegst du.“ Löst Laufen bei Dir tatsächlich ein Gefühl des Fliegens aus?
Als Kind konnte ich nie richtig laufen, ich war immer der langsamste, immer der erste, dem die Puste ausging. Das hat sich erst mit der Amputation geändert. Das ist jetzt acht Jahre her, heißt, ich kann das noch gar nicht so lange. Jedes Mal habe ich deshalb extrem viel Freude daran. Und ja, irgendwann fliegst du. Du bist an einem Punkt im Training, an dem du merkst, wie schnell du bist. Es fühlt sich an wie zehn Meter pro Sekunde. Das ist eine magische Zahl: eine Sekunde auf zehn Meter. Alles rauscht an dir vorbei. Wenn man diesen Punkt hatte – und so war es bei mir –, dann will man immer nur noch schneller rennen. Ich möchte mich jeden Tag fordern, immer schneller werden.
Als Weltrekordhalter und Weltmeister gehen Dir so langsam die Gegner aus. Würdest Du Dich gerne öfters mit nicht-amputierten Athleten messen?
Ich bin froh, dass wir mit den Paralympics unsere eigenen Spiele haben. Olympia und Paralympics sind aus unterschiedlichen Werten heraus entstanden. Die Paralympics stehen für Courage, Inspiration, Entschlossenheit und Gleichberechtigung, womit ich mich persönlich auch sehr gut identifizieren kann und dahinterstehe. Aber für mich zählt auch der Wettkampfgedanke: Ich freue mich über gute und anspruchsvolle Rennen mit schneller Konkurrenz. Deshalb finde ich es super, wenn wir bei Leichtathletik-Wettkämpfen gegen olympische Athleten starten können.
Du bist gelernter Orthopädietechnik-Mechaniker und hast Dich auch beruflich eingehend mit Prothesen beschäftigt, schließt aktuell aber ein Maschinenbau-Studium an. Warum?
Meine Ausbildung hat mir zwar sehr viel Spaß gemacht, danach war ich mit dem Thema überladen - Prothesen im Alltag, im Sport, im Beruf, mein Kopf war zu voll davon. Und eigentlich hatte ich immer schon studieren wollen. Maschinenbau bietet spannende neue Industriezweige und viele Möglichkeiten. Vielleicht gehe ich aber später auch wieder zurück in die Entwicklung oder Forschung von Prothesen, dann könnte ich beides miteinander verknüpfen und der Kreis würde sich schließen. Aber ich halte nichts von konkreten Zukunftsplänen, sondern wenn sich die Tür zu einer spannenden Möglichkeit öffnet und die Umstände passen, trete ich gerne ein.
Dann lass uns zunächst noch beim Hier und Jetzt bleiben. Wie schaffst Du es, Spitzensport und ein zeitintensives Studium parallel zu meistern?
Mein Tag ist strikt durchgetaktet. Aktuell befinde ich mich in einer Klausurenphase, entsprechend heißt es momentan von morgens bis abends lernen, trainieren, lernen, zwischendurch noch Physio. Für mich ist das Studium als Ausgleich zum Sport sehr wichtig. Als ich mal ein halbes Jahr nur trainiert habe, hat mir etwas gefehlt. Ich brauche auch mentale Reize, andere Themen und Gedanken, abseits von Training, Zeiten und Kraftwerten. Die Abwechslung macht’s. Und die Dosierung. Durchgehend in beiden Bereichen, mental und physisch, 100 Prozent zu liefern geht auch nicht.
Um sich das leisten zu können, braucht man starke Partner. Was bedeutet für Dich die Unterstützung durch die Deutsche Sporthilfe, insbesondere das Deutsche Bank Sport-Stipendium?
Die Deutsche Sporthilfe ist für mich wie für alle Athleten, die von ihrem Sport nicht leben können, enorm wichtig. Die monetäre Unterstützung gibt Sicherheit, und das Deutsche Bank Sport-Stipendium nimmt mir die Sorge, wie ich meinen Kühlschrank füllen kann. Da bleibt der Kopf frei für Uni und Sport.
Die WM findet dieses Jahr ungewohnt spät statt, im November in Dubai. Welchen Einfluss hat das auf Dein Training?
Es ist in der Tat eine Umstellung. Die „normale“ Wettkampfphase läuft bis Ende August, danach geht es dann wieder ins Aufbautraining für die WM. Mein Fokus wird auf meiner Lieblingsstrecke, den 400 Metern liegen, in Doha will ich meinen Weltmeistertitel verteidigen.
Definitiv verabschieden werde ich mich von meinem Titel über 200 Meter, weil diese Strecke für beidseitig Amputierte aus dem paralympischen und damit auch aus dem WM-Programm gestrichen wurde. Das finde ich sehr schade, weil mir die Strecke als 400-Meter-Sprinter gelegen kam und ich die 200 Meter sehr gemocht habe. Mein zweiter Fokus wird deshalb auf den 100 Metern liegen. Hier treten wir gemeinsam mit den einseitig Amputierten an. Die Rennen werden somit ein sehr hohes Niveau haben, es wird ein geiler Wettkampf, der unabhängig vom Ausgang eine super Vorbereitung für die Paralympics 2020 sein wird.
Gutes Stichwort: Eine paralympische Einzelmedaille ist eine, die noch in Deiner Sammlung fehlt, weil Du Dich 2016 in Rio beim Goldjubel mit der 4x100-Meter-Staffel so stark verletzt hast, dass Du auf Deiner Paradestrecke über 400 Meter nicht mehr antreten konntest.
Bei den Paralympics habe ich noch eine Rechnung offen, aber mehr mit mir selbst. Meine Motivation ist dafür aber umso höher, was sich hoffentlich in Leistung zeigen wird.
Geburtstag | 8. Februar 1995 in Bissendorf/Niedersachsen |
Sportart | Para-Leichtathletik, Sprint (100 m, 200 m, 400 m) |
Wohnort | Leverkusen |
Verein | TSV Bayer 04 Leverkusen |
Größte Erfolge | Paralympicssieger 2016 mit der 4x100-Meter-Staffel, 4-facher Weltmeister, 6-facher Europameister, Weltrekordhalter (10,66s über 100 m) |
Studium | Maschinenbau |
Universität | Rheinische Fachhochschule Köln |