Die Eishockey-Nationalmannschaft der Frauen steht meist im Schatten der Männer. Dabei erzielte sie bei der vergangenen WM einen historischen Erfolg.
Ach, es gibt Frauen-Eishockey?“ Ja, das gibt es. „Es gibt sogar eine Nationalmannschaft!?“ Ja, auch die gibt es. Und zwar eine ziemlich erfolgreiche. Bei der letzten Weltmeisterschaft 2017 in Plymouth in den USA erreichte das Team um Kapitänin Julia Zorn das bislang beste Ergebnis in der Geschichte des deutschen Frauen-Eishockeys. Durch einen 2:1-Sieg im Viertelfinale gegen Russland zog die Mannschaft erstmals in ein WM-Halbfinale ein, belegte am Ende Platz vier.
Von der deutschen Öffentlichkeit wird Frauen-Eishockey jedoch mehr oder weniger ignoriert, die Bundesliga oder selbst Länderspiele finden in nahezu leeren Hallen statt. Deshalb sind auch die anfangs zitierten Fragen oft die erste Reaktion, wenn Julia Zorn erzählt, dass sie Eishockey spiele.
Kein Vergleich zur Männer-Nationalmannschaft, die den Sportfans nach den mitreißenden Auftritten bei den Olympischen Spielen 2018 mit dem Gewinn der Silbermedaille bestens bekannt ist, und das nicht nur als Team. Christian Ehrhoff, Marcel Goc oder Danny aus den Birken sind Namen, die nach Pyeongchang nicht nur Insidern etwas sagen.
Doch wer kennt Ivonne Schröder, Anna Fiegert oder eben Julia Zorn?
Die 29-Jährige ist die Spielführerin der Nationalmannschaft, sie steht seit ihrem sechsten Lebensjahr auf dem Eis, nachdem ihr Sandkastenfreund sie mit ins Training genommen hatte. Gemeinsam mit ihm durchlief sie ihre Eishockey-Jugend, denn reine Mädchen-Nachwuchsteams gibt es nicht. Ab 13 spielte sie parallel in der männlichen Jugend und in der Frauen-Bundesliga. „Einerseits ist es leistungsfördernd, in Konkurrenz mit den Jungs zu stehen“, zeigt Zorn einen Vorteil auf, aber „auf der anderen Seite wird der körperliche Nachteil ab 16 Jahren zu groß, sodass wir in Positionen abrutschen, die nicht mehr förderlich sind“.
Das erklärte Ziel des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) ist deshalb, möglichst bald eine U15-Liga ins Leben zu rufen. 2014 hat der DEB ein Förderprogramm mit dem Namen „Powerplay 2026“ aufgelegt, um ab 2026 jederzeit konkurrenzfähige Nationalmannschaften ins Rennen schicken zu können. Das Konzept ist entsprechend langfristig angelegt. „Nach den letzten Erfolgen bereits davon zu sprechen, dass wir zur absoluten Weltspitze gehören, ist verfrüht“, versucht Michael Pfuhl, Technischer Direkter beim DEB, die gestiegenen Erwartungen zu dämpfen. „Zwischen Halbfinale und Platz acht ist alles möglich, die Mannschaften dort sind alle eng beieinander.“
Die Nachwuchsförderung im Speziellen und die verstärkte Förderung der Frauen sind somit elementarer Bestandteil des Programms. „Der DEB hat sich mit ‚Powerplay 2026‘ gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Bundesinnenministerium explizit zur Förderung des Frauen-Eishockeys bekannt“, erklärt Pfuhl, „die Nachwuchsförderung beider Geschlechter ist dadurch auf das identische Niveau gehoben worden“.
Der Unterschied besteht jedoch darin, dass die Frauen aufgrund der öffentlichen Akzeptanz und Aufmerksamkeit in Vereinen und Ligen reine Amateure sind. Während die besten männlichen Nachwuchsspieler nach der Schule in der Regel eine Profikarriere vor sich haben, steht für die Frauen die parallele Berufsausbildung im Fokus. Julia Zorn entschied sich nach dem Abitur für ein Studium, ging anschließend als Sportsoldatin zur Bundeswehr, legte parallel dazu 2017 ihren Master in „Diagnostik und Training“ ab. Seitdem könnte sie sich zu 100 Prozent auf den Sport konzentrieren, arbeitet jedoch acht Stunden pro Woche zusätzlich als Sportwissenschaftlerin in einem Fitnessstudio. Dabei geht es ihr um die praktische Berufserfahrung, mit dem schönen Nebeneffekt, dass sie dort ihr Krafttraining kostenfrei absolvieren kann.
Denn Mitgliedsbeiträge in den Vereinen,Spiellizenzen, Kosten für Trainingsfahrten oder eben das Fitnessstudio vor Ort seien zwar einzeln keine großen Beträge, „läppern sich aber“, so Zorn. Der größte Posten ist jedoch die kostenintensive Ausrüstung, die die Spielerinnen nach wie vor selbst bezahlen müssen. Für Schlittschuhe, Schützer, Handschuhe, Schläger, Helm, Hosen und Trikots kämen pro Jahr Fixkosten von rund 2.600 Euro zusammen, eine Torhüterinnen-Ausrüstung kostet gar rund 8.500 Euro.
Viele von uns können den Sport nur betreiben, weil sie von der Sporthilfe unterstützt werden“, sagt Zorn und unterstreicht: „Insbesondere für die Spielerinnen, die studieren oder eine Ausbildung machen, ist die Sporthilfe existentiell.
Neben der finanziellen Unterstützung über das Top-Team und Top-Team Future sowie im Falle eines Studiums des Deutsche Bank Sport-Stipendiums werden insbesondere Materialkosten bezuschusst – über Gelder des Projektfonds und darüber hinaus: Sporthilfe-Kurator Martin Scholich spendete im vergangenen Jahr über 8.000 Euro, um laufende Kosten zu decken.
Eine, die hinter der wuchtigen Torhüterausrüstung steckt, ist Ivonne Schröder. Sie ist nicht nur für die Nationalmannschaft ein Weltklasse-Rückhalt, sondern steht seit zehn Jahren auch bei den Tornado Niesky zwischen den Pfosten – bei den Männern in der dritt- bzw. vierthöchsten Spielklasse. „Für Torhüterinnen ist das keine Besonderheit, auch Jennifer Harß und Franziska Albl spielen bei den Männern“, meint die 30-Jährige bescheiden. Und gibt dann doch zu: „Ja, man sagt uns durchaus nach, dass wir ein bisschen verrückt sind.“ Schließlich fliegen die Pucks mit bis zu 150 km/h auf das Tor.
Fünf Jahre lang hat Schröder auch bei den Frauen des OSC Berlin gespielt, wohlgemerkt parallel. Man könnte annehmen, dass sie somit keine reine Amateurin, sondern Profisportlerin sei, doch darüber kann die Torfrau nur lächeln. „Ich bin Immobilienkauffrau und verwalte 900 Wohnungen bei der Sächsischen Wohnungsgenossenschaft Dresden.“
Morgens um 7 Uhr beginnt ihr Arbeitstag, nach Arbeitsende um 16 Uhr fährt sie in das rund 100 km entfernte Niesky zum Training. „Nicht jeden Tag“, beschwichtigt sie, „an meinem langen Arbeitstag bis 18 Uhr schaffe ich das zeitlich nicht“, dann trainiert sie in Dresden bei der U20 mit. Dazu kommen am Wochenende die Liga-Spiele.
Man kann sich leicht ausrechnen, wie viel Freizeit übrigbleibt. Wobei die Einsatzzeiten für die Nationalmannschaft an der Stelle noch gar nicht mitgedacht sind. „Mehr als die Hälfte meines Urlaubs gehen für Lehrgänge und Länderspiele drauf, so dass nur wenige Tage für den privaten Urlaub bleiben.“ Wer so ein Pensum abspult, muss brennen für seinen Sport.
„Es ist bewundernswert, wie viel Herzblut die Frauen in ihren Sport stecken“, ist Bundestrainer Christian Künast von seinen neuen Schützlingen hellauf begeistert. Zu Jahresbeginn hat der frühere Nationalspieler die Frauen-Chefposition beim DEB übernommen. Zuletzt zeichnete er für die U20-Herren verantwortlich, mit denen er im Dezember den Aufstieg in die Top-Division feierte. „Die Leidenschaft ist bei den Jungs und Mädels recht ähnlich. Aber welch‘ zusätzlichen Einsatz die Frauen bringen, das macht wahnsinnig viel Spaß zu sehen!“
Nach den ersten Länderspielen als Cheftrainer sagt er aber auch: „Noch sind die Mädels sehr zurückhaltend, die Siegermentalität fehlt etwas.“ Am liebsten würde er ihnen jeden Tag „einimpfen, etwas selbstbewusster aufzutreten“. Doch den kompletten Kader hat er nur selten beisammen, dreimal im Monat arbeitet er am Stützpunkt in Füssen mit den zehn Spielerinnen zusammen, die einen Platz bei der Bundeswehr haben. Wenige, wie Ivonne Schröder, sind berufstätig oder machen eine Ausbildung, der Großteil der Athletinnen studiert.
Sport und Studium zu verbinden, ergibt in Künasts Augen „absolut Sinn. Doch die Bedingungen in Deutschland müssen verbessert werden“. Diesbezüglich seien die USA und Kanada meilenweit voraus. In Nordamerika werden die Spielerinnen bereits an der High-School, anschließend an der Uni optimal betreut. „Es ist ein komplett anderes System als in Deutschland“, weiß Anna Fiegert. Nach dem Abitur bekam die Verteidigerin ein Stipendium an der Minnesota State University in Mankato, ist mittlerweile in ihrem sechsten Studienjahr in den USA. „Als ‚student athlet‘ wird der Trainingsplan mit der Uni filigran abgestimmt, dadurch haben die Spielerinnen viel mehr Praxiszeit auf dem Eis“, ist die 24-Jährige von der Koordination begeistert.
„Mir hat es für meine Entwicklung unheimlich viel gebracht, auch, weil ich regelmäßig gegen die Besten der Welt spielen kann.“ Im Mai wird sie ihren Master machen und anschließend in Deutschland auf Job- und Vereinssuche gehen.Letzteren wird sie mit Sicherheit leicht finden, denn bis die Maßnahmen von „Powerplay 2026“ greifen und mehr Nachwuchsspielerinnen um die Plätze in der obersten Liga wetteifern, wird es noch ein Weilchen dauern. Aktuell werden spezielle „girls days“ veranstaltet. „Unser Ziel ist dabei auch, das Eishockey-Bild, das bei vielen als rau und verletzungsanfällig, vielleicht sogar als brutal angesehen ist, zu verbessen“, zeigt DEB-Mann Pfuhl ein Problem der Nachwuchsakquise auf.
Ein Vorurteil, dem auch immer wieder Julia Zorn und ihre Nationalmannschafts-Kolleginnen indirekt ausgesetzt sind. „Oft bekommen wir zu hören: Also Eishockeyspielerinnen habe ich mir anders vorgestellt.“ Viele würden sehr große und kräftige Frauen erwarten. „Aber die Wahrheit ist eine andere, da muss man sich nur Ivonne Schröder oder Jennifer Harß ansehen. Das sind zwei Weltklasse-Torhüterinnen, und die sind alles andere als breit.“
Zwei Weltklasse-Torhüterinnen, die mithelfen wollen, das herausragende WM-Ergebnis von 2017 zu wiederholen. „Wir wollen zeigen, dass der 4. Platz kein One-Hit-Wonder war“, freut sich Anna Fiegert von Mankato aus auf die nächsten Vergleiche mit der Weltspitze. Doch Bundestrainer Künast bremst: „Das Halbfinale als Ziel auszugeben, wäre zu hoch angesetzt, andere Nationen haben aufgeholt.“ Seine Aufgabe sehe er primär darin, die einzelnen Spielerinnen jeden Tag zu verbessern. Für
große Erfolge benötige es Zeit.
Die Unterstützung seiner Kapitänin hat er: „Mit ihm wollen wir uns von Spiel zu Spiel verbessern“, so Julia Zorn, „Schritt für Schritt.“ Und trotzdem richtet sie den Blick weiter in die Zukunft, zu den Olympischen Spielen. „Die Qualifikation für Peking 2022 hat oberste Priorität.“ Für 2026 ist Olympia ohnehin fest eingeplant.
(Veröffentlicht am 29.03.2019)