Skibergsteigen ist 2026 erstmals Teil der Olympischen Winterspiele – der vorläufige Gipfel einer Sportart im Höhenflug. Auch aus Deutschland machen sich Athlet:innen Hoffnungen auf ihr Olympia-Debüt.
Auf Italienisch klingen selbst Sportbegriffe manchmal wie eine Oper von Giuseppe Verdi: Zur „L’attrezzatura“, also der Ausrüstung im Skibergsteigen, gehören spezielle „Sci da scialpinismo“ (leichte Skier), die typischen „Bastoncini da sci“ (Skistöcke), sehr leichte „Scarponi“ (Skistiefel) und die „Pelli di foca“ – auf Deutsch: Skifelle. Im Februar 2026 wird sich das Publikum der Olympischen Winterspiele in Mailand und Cortina d’Ampezzo davon überzeugen können, wie Athlet:innen mit diesem Equipment erst steile Berge hinaufjagen, um sie dann wieder auf Skiern herunterzufahren. Das ganze ohne Skilift, versteht sich.
„Als Kind habe ich das auch nicht kapiert: Wieso hochlaufen, um Ski zu fahren – wenn es doch auch Lifte gibt?“,
sagt Tatjana Paller. Inzwischen ist bei Deutschlands derzeit bester Skibergsteigerin natürlich Einsicht eingekehrt: „Sich völlig auszupowern, über die Grenzen zu gehen – das hat mir früher beim Alpin-Skifahren immer ein bisschen gefehlt.“
Für Paller ist es der zweite Anlauf, um bei Olympischen Spielen an den Start zu gehen. Begonnen hatte die heute 29-Jährige ihre Karriere als Radfahrerin, wurde 2017 sogar U23-Europameisterin auf der Bahn. Seit dem schweren Sturz von Olympiasiegerin Kristina Vogel, die seitdem querschnittsgelähmt ist, fuhr bei ihr aber immer die Angst vor einem Unfall mit. Logische Folge: Die Ergebnisse stimmten nicht mehr, ihre Leidenschaft schwand. Im Skibergsteigen, das die Oberbayerin zuvor hobbymäßig betrieben hatte, fand sie durch Zufall die Chance auf eine zweite Leistungssportkarriere.
Mit Erfolg: In der vergangenen Saison wurde Paller Gesamt-Vierte im Sprint-Weltcup. Daneben gibt es im Skiberglaufen noch die Disziplinen „Individual“ und „Vertical“ – aber nur das Sprint-Format hat es ins olympische Programm geschafft. Bei den Wettkämpfen in Bormio, 125 Kilometer Luftlinie nordwestlich von Mailand, werden drei Wettbewerbe ausgetragen: Damen-Sprint, Herren-Sprint und ein Mixed-Sprint. Damit trägt das IOC seinem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit Rechnung, aber auch den Sehgewohnheiten einer jüngeren Zielgruppe.
Ein Sprintrennen dauert circa drei bis vier Minuten, lässt sich gut visualisieren und medial vermarkten – anders als etwa das sehr lange „Individual“, die Königsdisziplin und der Ursprung des Skibergsteigens. Zuständig für die Sportart ist in Deutschland der Deutsche Alpenverein (DAV). Er nimmt mit der Aufnahme von „Skimo“ (von Englisch „Ski Mountaineering“) ins olympische Programm künftig eine Sonderrolle ein: Weil auch die Sommerdisziplin Sportklettern vom DAV betreut wird, ist er der einzige nationale Fachverband, der bei olympischen Winter- und Sommerspielen mit einer Sportart vertreten ist. „Das ist schon was Besonderes und das freut uns sehr“, sagt Michael Wilms, DAV-Leistungssportreferent.
Seitdem klar ist, dass Skibergsteigen als neue olympische Sportart ins Programm von „Milano-Cortina 2026“ rückt – wenn auch zunächst nur temporär für diese Spiele –, herrscht viel Trubel. „Es ist etwas im Umbruch, viele Konzepte werden angestoßen, um die Rahmenbedingungen zu professionalisieren. Es geht darum, unser Top-Team fit in den Weltcup zu bringen“, sagt Wilms. „Man merkt sehr, wie sich alle Nationen auf den Sprint fokussieren und deutlich mehr Trainingslager absolvieren“, betont Paller. Klar: „Es ist für viele vielleicht eine Once-in-a-Lifetime-Möglichkeit.“
Die Bayerin kam erst vor vier Jahren zum Skibergsteigen, ist aber längst das deutsche Aushängeschild: „Oft ist mir das gar nicht bewusst, weil ich im Hier und Jetzt lebe.
Aber dass ich es in zwei verschiedene Nationalmannschaften und zwei verschiedene Sportfördergruppen der Bundeswehr geschafft habe, dazu in beiden Sportarten von der Sporthilfe gefördert wurde, das macht mich schon stolz.“
Könnte Paller ihre Ergebnisse aus der vergangenen Saison in diesem Winter wiederholen, würde das dem deutschen Team zwei Quotenplätze für Olympia sichern: Im Damen-Sprint und im Mixed – „unsere größte Chance“, sagt DAV-Mann Wilms. Wer diese Plätze dann tatsächlich wahrnimmt, wird erst im Winter 2025/26 entschieden.
Im Weltcup tritt Paller mit dem acht Jahre jüngeren Finn Hösch an. Gemeinsam erreichten sie in der Mixed-Staffel einmal Platz 4, in der Weltcup-Gesamtwertung wurden sie Sechste. Bei den Olympischen Spielen können nur zwölf Teams an den Start gehen, nur eines pro Land. Weil Nationen wie Frankreich oder Italien aber viele starke Athlet:innen haben, sind die Möglichkeiten für das deutsche Duo durchaus realistisch.
Skibergsteigen feiert 2026 seine olympische Premiere
deutsche Athlet:innen haben gute Chancen, sich für Olympia zu qualifizieren
olympische Goldmedaillen werden 2026 im „Skimo“ vergeben
Athlet:innen insgesamt werden aktuell von der Sporthilfe gefördert
Der jüngere Hösch peilt ebenfalls die Qualifikation für die Olympischen Winterspiele an und bringt dabei einen „Vorteil“ gegenüber seiner Mixed-Partnerin mit: Er hat bereits olympische Luft geschnuppert. 2020 war Skibergsteigen im Programm der Youth Olympic Games in Lausanne. Gewissermaßen ein Testballon für die „richtigen“ Olympischen Spiele und für Hösch bislang das Karrierehighlight: „Das war absolut beeindruckend. In dem Alter war ich noch gar nicht in der Lage, das alles richtig einzuordnen, aber es hat einen Vorgeschmack auf 2026 gegeben“, sagt der Münchner.
Etwa zum gleichen Zeitpunkt, 2020, startete auch die Hobbyvariante des Skibergsteigens einen Höhenflug, der bis heute anhält. Das „Skitourengehen“ ist zumindest im süddeutschen Raum sehr bekannt und beliebt – und boomt dort spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie. Die Unabhängigkeit von ausgewiesenen Skigebieten, von präparierten Pisten und Skiliften reizt viele Menschen. Hinzu kommt die Bewegung in der (oft unberührteren) Natur und der „Belohnungseffekt“: Eine Pistenabfahrt muss man sich erst „verdienen“.
Der Boom befeuert auch das Interesse am Skibergsteigen und schlägt sich in der Zahl der Hobbysportler:innen in den Bergen nieder. „Wir versuchen uns aber, etwas vom Breitensport abzugrenzen“, sagt Hösch. Beim Leistungssport Skibergsteigen geht es nicht nur um idyllische Natur und atemberaubende Bergpanoramen. Hier zählt jede Sekunde, jedes Kilo, das den Berg hinaufgetragen werden will. Zum Vergleich: Während handelsübliche Tourenschuhe zwischen ein und zwei Kilogramm wiegen und die Skier zwischen einem und eineinhalb Kilogramm, kommt die Ausrüstung von Profis wie Tatjana Paller auf 500 Gramm pro Schuh und 700 Gramm pro Ski mit Bindung.
Die Trainingsintensitäten im Leistungssport sind hoch, die Trainingsumfänge riesig. Viel passiert im Grundlagentraining abseits der Piste, auf dem Rad, auf Skirollern oder beim Trailrunning. „Ausdauer ist Ausdauer. Wenn du eine Pumpe hast, dann hast du die“, sagt die ehemalige Radsportlerin Paller. Sie hofft wie das gesamte Team darauf, dass das Skibergsteigen bis zu seiner Olympia-Premiere noch weiter an Aufmerksamkeit gewinnt. Die Weltcups werden bereits live gestreamt, in diesem Winter wird Eurosport einige Weltcups im Fernsehen übertragen. Außerdem helfe die Förderung durch die Sporthilfe sehr, betont Athletensprecher Hösch:
„Das ist Rückendeckung und Wertschätzung zugleich. Von der Sporthilfe gefördert zu werden, gibt uns die Anerkennung, dass wir tatsächlich olympisch sind und auf dem Weg dorthin vollumfänglich und professionell unterstützt werden.“
Und mittelfristig? Die Chancen, dass „Skimo“ als temporäre Sportart auch 2030 noch Teil der Olympischen Winterspiele sein wird, stehen nicht schlecht. Vielleicht sogar mit einer weiteren Disziplin. Dann finden die Spiele in den französischen Alpen statt, wie Italien ein Mekka des Skibergsteigens. Spätestens dort will auch Helena Euringer olympische Luft atmen. Die 18-Jährige besucht die zwölfte Klasse des Skiinternats in Berchtesgaden und gilt als das herausragende Nachwuchstalent ihrer Sportart. In diesem Winter wird sie aller Voraussicht nach ihre ersten Einsätze im Erwachsenen-Weltcup bekommen. Bei Euringer herrscht daher zurecht „sehr große Vorfreude“.
Von Sporthilfe und DFL Stiftung wird sie in der Nachwuchselite-Förderung unterstützt, eine Auszeichnung für das Skibergsteigen insgesamt und für die junge Sportlerin persönlich. Ihr Ziel sind die Olympischen Spiele 2030. „Aber ich würde natürlich auch 2026 mitnehmen, wenn es sich ergibt“, lacht Euringer. Die Ambitionen der Nachwuchsathletin zeigen: Die Vorfreude im deutschen Team ist riesig. Die Olympischen Winterspiele im Februar 2026 rücken näher, die Eröffnungs- und vor allem die Schlussfeier in Mailand und Verona werden realer. Tatjana Paller war schon einmal dort, in der berühmten Oper, und schwärmt von der Atmosphäre. Es wäre das perfekte Finale für eine ersehnte Premiere.
Ein Sprint-Rennen beinhaltet Aufstieg und Abfahrt. Bergauf müssen Pisten- und Treppenpassagen bewältigt werden. Damit die Skier beim Aufsteigen auf dem Schnee Halt finden, braucht es spezielle Felle, die im Laufe eines Sprint-Rennens einmal ab und wieder aufgeschnallt werden. Runter geht es auf der Piste. Nach einer Qualifikation treten pro Rennen immer sechs Athlet:innen gegeneinander an, die beiden Ersten im Ziel sowie die zwei zeitschnellsten „Lucky Loser“ erreichen die nächste K.O.-Runde.
Erschienen im Sporthilfe Magazin