Foto: Frank Schemmann

Para-Weitspringer Markus Rehm: „Ich würde keine Medaille eintauschen für ein gesundes Bein“

Als einer der weltweit bekanntesten Para-Sportler ist Weitspringer Markus Rehm auch außerhalb des Spitzensports ein Vorbild für Menschen mit Handicap. Seit über zehn Jahren hat der 32-Jährige keinen Wettkampf mehr verloren und dabei sogar olympische Athleten besiegt. Nun will er als erster paralympischer Sportler auch zu Olympia fahren.


Markus, wieso ist es Dir so wichtig, auch an olympischen Wettbewerben teilzunehmen?

Für mich geht es darum, dass sich olympische und paralympische Athleten näherkommen. Wir haben eine Leidenschaft. Wir haben einen Sport. Wir springen beide in eine Sandgrube. Warum sollen wir das nicht gemeinsam tun? Es geht mir ausdrücklich nicht darum, jemandem die Medaille wegzunehmen oder Prämien abzustauben. Sondern um den Sport. Ich will mich mit den besten Athleten überhaupt messen und das auf dem größtmöglichen Event der Welt – gerne auch außerhalb der offiziellen Wertung.

Der Internationale Sportgerichtshofs CAS hat im vergangenen Jahr ein Urteil gefällt, das die Beweislast zugunsten der paralympischen Athlet:innen veränderte.

Es gibt jetzt keine rechtliche Grundlage mehr, mich von einer Teilnahme auszuschließen. Seit 2015 galt die Regel, dass ich als Athlet beweisen muss, durch die Prothese keinen Vorteil zu haben. Das ist unglaublich schwierig und meiner Meinung nach auch nicht rechtens – sonst müsste jeder andere Athlet nachweisen, dass er sauberen Sport betreibt. Nach der neuen Regel sind nun der Deutsche Leichtathletik-Verband beziehungsweise der Weltverband in der Pflicht, mir nachzuweisen, dass ich einen Vorteil habe. Wir müssen irgendwann mal klare Lösungen finden, um in Zukunft gemeinsam Sport treiben zu können.

Kannst Du nachvollziehen, wenn olympische Athleten Dir gegenüber Vorbehalte haben?

Niemand muss sich in seinem Ego angegriffen fühlen, wenn einer mit Prothese weiter springt. Ich habe mich nie auf meine Prothese reduziert und es ist überhaupt keine Schande, kürzer zu springen als ich. Das Problem besteht in den Köpfen mancher Leute. Viele sehen mich als den, ich sage es einmal hart, behinderten Athleten. Und kürzer zu springen als der Behinderte geht natürlich gar nicht, das kratzt am eigenen Ego.

Hast Du den Eindruck, dass sich die Wahrnehmung des Para-Sports in den letzten Jahren verändert hat?

Es hat sich sehr viel verändert. Die Athleten sind besser geworden, die Leistungen sind besser geworden. Aber ich glaube, unser Sport hat noch nicht das Image, das er mittlerweile verdient. Ich sehe meine mögliche Olympia-Teilnahme auch als eine kleine Werbung für unseren Sport.

Du warst schon als Jugendlicher sehr sportlich, hast dann bei einem Wakeboard-Unfall Deinen rechten Unterschenkel verloren. Stürzt das einen 14-Jährigen in eine Identitätskrise?

Ich war in der Schule stets der Sportler, musste immer alles vorzeigen und vorturnen. Und auf einmal wird man dieser Grundlage entzogen: den gesunden Körper hatte ich nicht mehr. Darüber denkt man natürlich nach, aber es bringt nicht viel. Es war für mich immer ein blöder Unfall, der nicht hätte sein müssen, der aber einfach so passiert ist. Ich habe dann relativ schnell versucht, das Beste daraus zu machen. Durch den Sport habe ich gemerkt, dass ich gar nicht so „behindert“ bin, wie es andere geglaubt haben. Das Wort mochte ich übrigens noch nie. Der Sport hat mir also auf jeden Fall geholfen, eine eigene Identität zu finden.

Jubelschreie von Markus Rehm bei den Paralympics 2016 in Rio, der sich die Gold-Medaille in seiner Paradedisziplin Weitsprung sicherte. (Foto: picture alliance)

Jeder bekommt irgendwann vorgeschrieben, was er vermeintlich kann oder eben nicht. Diese Grenzen wollte ich nie akzeptieren, auch nicht im Sport.

Mit Ehrgeiz und Kampfgeist ruft Rehm beeindruckende Leistungen ab, die er auch bei den Olympischen Spielen präsentieren möchte. (Foto: picture alliance)

Der Unfall war 2002, wie sieht es 2021 in dem noch immer Supersportler Markus Rehm aus?

Ich lebe heute ein großartiges Leben. Meine Leidenschaft, mein Hobby habe ich zum Beruf machen können. Ich komme viel herum, lerne viele Menschen kennen, habe durch den Sport auch den tollen Job des Orthopädietechnikers kennengelernt. Ich könnte es mir anders gar nicht mehr vorstellen. Natürlich wünscht man dieses Schicksal niemandem, aber ich würde heute keine Medaille mehr eintauschen wollen für ein gesundes Bein.

Deine positive Lebenseinstellung ist beeindruckend. Hast Du es ein Stück weit zu Deiner Mission gemacht, anderen Menschen Mut zu geben?

Ja, aber ich versuche, daraus einfach kein riesiges Ding zu machen. Jeder hat sein Päckchen zu tragen im Leben, und ganz im Ernst: Mir fehlt ein Unterschenkel. Es gibt Dinge, die sind so viel schlimmer. Im Leben bekommt jeder doch mal vorgeschrieben, was er vermeintlich kann oder eben nicht, bekommt Grenzen gesetzt. Bei mir war es damals mein Handicap, meine Prothese, die „Behinderung“, die ich vermeintlich habe. Diese Grenzen wollte ich nie akzeptieren, auch nicht im Sport, wo es hieß: Ein paralympischer Weitspringer darf nicht weiter springen als ein olympischer Weitspringer. Wieso nicht? Ich trainiere mindestens genauso hart und warum soll ich nicht genauso weit oder auch weiter springen? Deswegen: Lass dich nicht behindern, lass dir von niemandem Grenzen aufzeigen, die nur in den Köpfen der anderen bestehen.

(Veröffentlicht am 09.07.2021)

Erschienen im Sporthilfe-Magazin go!d / Germany United - Zur kompletten Ausgabe (2/2021)



Unsere Nationalen Förderer