Fotoquellen: Richard Buchner & privat

„Nicht Medaillen, sondern das Miteinander ist entscheidend“

Als Bundestrainer arbeitet Peter Schlickenrieder für den Erfolg der Skilanglauf-Athlet:innen, Sohn Lukas wird als Ski-Freestyler über die Sporthilfe-Marke Our House unterstützt. Ein Gespräch über Gemeinsamkeiten von olympischem Sport und freiem Actionsport, die Rolle von Athlet:innen als Vorbilder und über den möglichen Mehrwert Olympischer Spiele in Deutschland.


Peter, da Lukas bislang hauptsächlich in der Freestyle-Szene bekannt ist: Kannst Du ihn bitte einmal kurz beschreiben? 

Peter: Lukas ist sehr zielorientiert, verlässlich, kommunikationsstark, sehr ehrgeizig und er geht Dinge wohl überlegt an und ist sehr strukturiert.

Wohl überlegt und sehr strukturiert – steht das nicht im Widerspruch zu einem Freestyler?

Peter: Ich glaube, dass es genau das braucht, um seine Sportart möglichst verletzungsfrei zu betreiben. Das ist es auch, was mir ein gutes Gefühl gibt, ihn den Sport machen zu lassen. Die Verletzungsgefahr ist hoch, und wenn du beim Freeskiing zu impulsiv agierst, zu wenig geplant bist, dann geht es hoch bis zur Lebensgefahr. Deswegen, glaube ich, hat er genau das richtige Maß. Das brauchst du, um erfolgreich zu sein, ohnehin egal in welcher Sportart, aber vor allen Dingen in einer so risikoreichen Sportart wie Ski-Freestyle.

Lukas, ursprünglich hast Du im klassischen Skirennlaufen begonnen, bist dann in den Freestyle-Wettkampfbereich gewechselt und jetzt als freier Actionsportler unterwegs. Warum?

Lukas: Ich bin vom Stangen-Fahren weg, weil ich mehr Lust auf Freestyle-Sport hatte. Anfangs bin ich mit Freunden einfach nur Skifahren gegangen, aber als sich dann ein Nationalteam entwickelte, war ich mit vollem Fokus im Slopestyle und Big Air auf Wettkämpfen unterwegs. Nach dem Abitur hätte ich dann die volle Konzentration aufs Skifahren legen können, um mich von Top-20-Platzierungen im Weltcup weiter nach vorne zu entwickeln. Aber ausschließlich Sport wäre mir zu wenig gewesen, mir war wichtig, parallel zu studieren. Zudem wollte ich nicht mehr hauptsächlich darauf trainieren, für meine Tricks den besten Score im Wettkampf zu bekommen. Wie schon damals beim alpinen Stangen-Fahren fühlte ich mich damit nicht frei genug. Es war mir zu spießig, zu starr und zu ernst. Wenn du stattdessen nur zum Spaß fährst, kannst du die Tricks machen, die dir gut gefallen, wo du Style hast, wo du dich selbst entfalten kannst. Das ist es, was ich will.

Peter Schlickenrieder 2022 auf dem Weg zu Olympia-Silber im Sprint-Wettbewerb. (Foto: picture alliance)

Peter, ist das ein ziemlicher Gegensatz zu dem, was Du im Skilanglauf machst?

Peter: Ich sehe eigentlich viele Gemeinsamkeiten, denn sowohl im Ski-Freestyle als auch im Skilanglauf geht es am Ende um die Freude an der Bewegung. Und in beiden Fällen auch darum, seine Grenzen auszuloten. Ob das beim Trickskifahren ist oder wenn ich versuche, eine bestimmte Streckenlänge schnellstmöglich zu absolvieren oder einfach den Flow der Bewegung zu erleben, es gibt viele Ähnlichkeiten. Und dass Athleten mit dem System, mit starren Strukturen kämpfen und sagen, sie brauchen mehr Freiheit, auch das kommt im Skilanglauf vor.

Lukas: Ich glaube, es ist sehr Typ-abhängig, ob man eher viel Struktur und klare Ansagen vom Trainer oder viel Freiraum für seine Entwicklung braucht. Deswegen ist es super und wichtig, dass es die Our House-Förderung gibt, weil bei Actionsportarten wie Skateboard, BMX oder Ski-Freestyle ist es eben viel ausgeprägter, dass man sich selbst entfalten, kreativ sein kann und außerhalb der klassischen Strukturen unterwegs sein will. 

Wie würdet ihr jeder für sich Erfolg definieren? 

Lukas: Glücklich über sein Schaffen sein – also zufrieden mit dem sein, was man erreicht hat.

Peter: Für einen Bundestrainer sind natürlich Medaillen die Erfolgskriterien. Das heißt, das Ziel ist klar, aber man kann über Wege diskutieren. Am Ende des Tages ist aber in erster Linie für mich wichtig, mit wem gehst du diesen Weg, mit wem erreichst du deine selbstgesetzten Ziele? Deshalb würde mich der Olympiasieg oder der Weltmeistertitel, wenn er sehr singulär und wenig als Team-Ergebnis zustande kommt, nicht so zufrieden stellen wie vielleicht ein dritter Platz, den sich ein ganzes Team hart erkämpft hat. Ich würde als Trainer auch hohe Zufriedenheit daraus ziehen, wenn unsere Athleten abseits vom sportlichen Erfolg ihren Weg in die berufliche Zukunft finden und sich ein glückliches und zufriedenes Leben aufbauen, sprich auch dort den nächsten Step schaffen. Und die Werte, die sie von Trainern und Betreuern gelernt haben, weitergeben, sich also das System aus sich selbst weiter multipliziert. Wenn sie auch Vereins- und Ehrenamtsarbeit für sich entdecken und nicht nur materiellen Dingen nacheifern. Dann, denke ich, hätte ich eine hohe Zufriedenheit erreicht. 

Neben seinen Hauptdisziplinen Slopestyle und Big Air geht Lukas auch gerne mal „powdern“. (Foto: Richard Buchner)

Würden Olympische Spiele in Deutschland dabei helfen, dass die Werte, die der Sport transportiert, wieder verstärkt in die Gesellschaft hineingetragen werden können?  

Peter: Wenn man die aktuellen Geschehnisse und Entwicklungen sieht, stellt sich für mich die Frage, ob der Sport die Kraft hat, die gesellschaftliche Diskussion des Miteinanders anzukurbeln. Das, was wir im Moment erleben, ist eine ganz wilde Zeit, in der die Menschen sehr weit auseinanderdriften, die Unterschiede immer größer werden. Und da glaube ich, braucht es eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Frage: Wo wollen wir denn hin als Menschen? Was ist es denn, das uns wichtig ist, das ausgeprägte Ego und maximal Konsum oder wollen wir etwas Gemeinsames schaffen? Wenn wir da einen positiven Konsens herstellen, dann könnten wir auf so einem Nährboden die Idee der Olympischen Spiele angehen. Dann ist es einen Versuch wert. Aber vorher braucht es meiner Meinung nach diese Grundsatzdiskussion und eine Überzeugung von Toleranz und Gemeinschaft.

Was können Sportler:innen dazu beitragen? Können sie mit Werten wie Leistung, Fairplay, Miteinander Vorbilder für die Gesellschaft sein? Müssen sie lauter sein? 

Lukas: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, es ist total wichtig, dass Sportler sich als Vorbilder präsentieren und zeigen, dass man mit genug Willen alles erreichen kann. Ich glaube unabhängig von Olympia kann jeder Sportler, der ambitionierte Ziele erreicht hat, stolz auf sich sein und sollte es auch dementsprechend zeigen und präsentieren.

Peter: Jeder ist mit seinen Möglichkeiten ein Vorbild, ob im Freundeskreis, im Verein oder beispielsweise über die Bundestrainertätigkeit. Darüber habe ich die Möglichkeit, einem größeren Publikum Ideale oder Ideen mitzugeben oder herauszustreichen, dass der Erfolg nicht das alles Entscheidende ist, sondern das Team und das Miteinander.

Aus meiner Sicht muss es uns gelingen, dass wir das auch in der Gesellschaft verankern. Leistungsprinzip und Gemeinschaftssinn sollten die Treiber sein.

Welche Rolle spielt Social Media dabei? Peter, Du hast auf Instagram mehr als 20.000 Follower…

Peter: Wenn ich ehrlich bin, ist Social Media Fluch und Segen zugleich. Das Positive ist, dass wir mit denen, die an Langlauf interessiert sind, in direkten Kontakt treten und eben solche Werte und Ideale kommunizieren können. Auf der anderen Seite füttert man mit jeder Sekunde, die man darauf verbringt, einen Großkonzern. Zeit, die man optimalerweise eher draußen in Bewegung im Face-to-Face-Kontakt mit Freunden und in der Natur verbringen sollte. Dazu kommt, dass man eher in seiner Blase bleibt und dadurch ein verschobenes Weltbild bekommt. Und wenn das schon im Sport so ist, dann ist es bei anderen gesellschaftlichen Themen sicherlich ebenso. Ich sehe die Gefahr, dass das unsere Gesellschaft eher spaltet. Von daher überwiegt für mich tendenziell inzwischen das Negative.

Peter Schlickenrieder mit Ehefrau Andrea und Sohn Lukas mit Freundin Matilde. (Foto: Thomas Griesbeck)

Was rätst Du denn Deinen Athlet:innen?

Peter: Dosierter Umgang. Kommunizieren ja, konsumieren nein. Jede Minute, die man auf Social Media konsumiert, erzeugt Neid und Unzufriedenheit.

Lukas: Aber um erfolgreich Follower aufzubauen, muss man selbst konsumieren. Das ist ja das Fiese, dass du, wenn du hohe Reichweiten erzielen willst, auch aktiv sein musst. Aber ich bin der gleichen Meinung, dass es ein mächtiges Kommunikations-Instrument ist, auch, um sich als Vorbild zu präsentieren. Aber gleichzeitig hat es viele negativen Seiten. Im Freestyle wären die meisten wahrscheinlich lieber ohne Handy und Social Media unterwegs, aber man hat immer im Hinterkopf, die Sponsoren würden jetzt vielleicht gerne einen Reel sehen, also filmen wir schnell was – oder dann eben auch den ganzen Tag. Dabei sollte es eigentlich nur darum gehen, frei zu fahren, die Zeit zu genießen und sich auf den Moment zu fokussieren. Und sich nicht zu überlegen, was könnte ich jetzt für ein Video machen, das möglichst viral geht.  

Welche Ziele habt Ihr für die nächste Zeit?

Peter: Im Weltcup-Team haben wir es in den letzten Jahren geschafft, einen Entwicklungsprozess anzustoßen, der als Basis ein gutes Vertrauensverhältnis aller Beteiligten beinhaltet. [siehe Seite 20ff. in dieser Ausgabe, Anmerk. der Redaktion] Diese Grundlage der Zusammenarbeit wollen wir jetzt auf die nächsten Ebenen bis hinunter in den Nachwuchsbereich übertragen. Wir wollen für einen erfolgreichen Langlaufsport, der vom langfristigen Leistungsaufbau lebt, auch zukünftig Nachwuchsathleten begeistern. Es ist wichtig, dass Kinder gerne zum Training gehen, weil es einfach Spaß macht und sie sich in der Trainingsgruppe willkommen fühlen. Wenn alle am gleichen Strang ziehen, kann das gelingen. Und dann ist es am Ende nicht so entscheidend, ob sie Olympiasieger werden oder nicht, sie lernen etwas fürs Leben und werden immer Teil der Ski- und Sportfamilie sein.

Lukas: Für mich ist es aktuell wichtig, eine gute Work-Life-Balance zu finden, so dass ich mich sportlich als auch persönlich nochmal deutlich weiterentwickeln kann. Ich möchte meinen Sport genießen können, aber gleichzeitig die letzte Phase meines Studiums gut abschließen und auch beruflich den nächsten Step machen.

Ich will versuchen, etwas mit meiner Arbeit zu bewirken und ein Mehrwert für unsere Gesellschaft sein. Auf welche Weise wird sich zeigen.   

(Veröffentlicht am 13.12.2023)

Erschienen im Sporthilfe Magazin - Zur kompletten Ausgabe (2.2023)


Peter Schlickenrieder gewann im Skilanglauf bei den Olympischen Spielen 2002 die Silbermedaille im Sprint. Nach seiner aktiven Karriere wurde er als Autor, freier Unternehmer, TV-Kommentator und Funktionär tätig, seit 2018 ist er als Bundestrainer für das deutsche Skilanglauf-Team verantwortlich. Der 53-Jährige, seit 2002 Mitglied im Sporthilfe Alumni-Club, ist verheiratet und hat zwei Kinder – Nina und Lukas, die beide als Mitglieder der deutschen Ski-Freestyle-Nationalmannschaft von der Sporthilfe gefördert wurden.

Mit 19 Jahren entschied sich Lukas gegen die Fortsetzung seiner Wettkampfkarriere und ist seitdem am Berg als freier Actionsportler unterwegs. Mittlerweile einer der besten deutschen Ski-Freestyler wurde er 2021 in die „Our House“-Förderung aufgenommen – eine Marke der Sporthilfe, mit der die besten freien Actionsportler:innen in den Disziplinen Free-Ski und Free-Snowboard, BMX, Parkour, Skateboard und Wakeboard unterstützt werden.



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