Im deutschen Basketball weht ein frischer Wind: Die weiblichen Nachwuchstalente sorgen für Furore, die Männer wollen mit ihren NBA-Stars zu den Olympischen Spielen nach Tokio – und der Verband blickt optimistisch in die Zukunft.
Udine im Nordosten Italiens, August 2018. In der Halle mit dem klingenden Namen Palasport Primo Carnera treffen sich Spanien und Deutschland zum EM-Finale der U18-Basketball-Juniorinnen. Exakt 13 Minuten und zwei Sekunden sind gespielt, als in der stimmungsvollen Arena mit einem Mal völlige Ruhe einkehrt: Bei einer eher unspektakulären Aktion stürzt Deutschlands Top-Spielerin Nyara Sabally ins Seitenaus, jedem ist sofort klar, dass hier gerade etwas Schlimmes passiert sein muss. Und tatsächlich: Das Kreuzband der 18-Jährigen ist durch, das Turnier, dem sie vorher ihren Stempel aufgedrückt hatte, für sie beendet. Gold gewinnen die Mädchen am Ende trotzdem, Sabally wird als MVP, als wertvollste Spielerin, ausgezeichnet. Zumindest ein kleines Trostpflaster.
Neun Monate nach dem historischen ersten Gold-Triumph einer deutschen U-Mannschaft überhaupt sitzt die Studentin in ihrem Zimmer an der University of Oregon im Nordwesten der USA und erzählt von ihrer Verletzung. „Es klingt vielleicht ein bisschen blöd“, sagt sie, „aber gewissermaßen war der Kreuzbandriss nur eine Frage der Zeit. Es hatten sich bei mir einfach zu viele körperliche Probleme aufgestaut.“ Nach der schweren Verletzung geriet ihr geplanter Wechsel ans College in Gefahr, doch dank des Zusammenspiels der Verbände schaffte sie es frisch operiert pünktlich zum Studienstart. Hätte der Eingriff in Deutschland stattgefunden, wäre Nyara erst wesentlich später in der Lage gewesen, nach Amerika zu fliegen. Für die OP in den Staaten wurde allerdings ein Selbstkostenanteil in Höhe von 3.000 Euro fällig – bezahlt aus Mitteln der Deutschen Sporthilfe, die dem Deutschen Basketball-Bund (DBB) über einen Projektfonds zur Verfügung standen. Über die Unterstützung sei sie „sehr glücklich“ gewesen, so Sabally heute. Große Gefühlsausbrüche sind ihr Ding nicht, sie gilt als eher ruhigere Persönlichkeit. Ihr Nationalcoach Stefan Mienack bezeichnet sie als „stille Leaderin mit großer Ausstrahlung“.
Die Saison 2018/19 ihrer Oregon Ducks verpasste Sabally komplett. Gerade als Freshman, als Neuling an der Uni, ein schweres Los. „Man gewöhnt sich ans Zuschauen“, sagt Nyara und zuckt mit den Schultern, „aber je länger die Saison dauerte, desto mehr habe ich das Spielen vermisst.“ Kein Wunder, wenn den College-Stars bis zu 12.000 Fans zujubeln, sie sogar auf der Straße angesprochen werden – in Berlin, Nyaras Heimatstadt, undenkbar.
Im gleichen Team spielt auch ihre zwei Jahre ältere Schwester Satou, die seit 2017 in Oregon Politikwissenschaften studiert. Sie gehört zu den besten Spielerinnen der College-Liga und war bereits für die deutsche A-Nationalmannschaft im Einsatz. Die Sabally-Schwestern, Töchter einer Deutschen und eines Gambiers, wurden in den USA geboren und wuchsen in Berlin auf. Sie sind Gesichter einer neuen Generation im deutschen Frauen-Basketball. Dazu zählt auch Marie Gülich, 24 Jahre alt und als erst dritte deutsche Spielerin in der amerikanischen Profiliga WNBA am Ball, außerdem Ama Degbeon, 23, Alumnus der Florida State University und Star in der starken schwedischen Liga, sowie die 19-jährige Leonie Fiebich, die gemeinsam mit Nyara U18-Europameisterin wurde und bereits ihr Debüt im A-Nationalteam feierte. Selbst wenn die Qualifikation für die EM 2019 und damit auch alle Chancen auf Olympia 2020 verpasst wurde – die Verantwortlichen beim DBB blicken optimistisch in die Zukunft. Coach Mienack, als hauptamtlicher Bundestrainer für den weiblichen Nachwuchs zuständig:
„Das Reservoir an Talenten ist groß genug, um der Damen-Nationalmannschaft wieder andere Ziele zu setzen als aktuell.“
Was Grund zu Optimismus gibt, ist die Konstanz über die Jahrgänge hinweg: Zum ersten Mal überhaupt spielen derzeit alle weiblichen – und übrigens auch alle männlichen – deutschen Nachwuchsteams in der A-Klasse ihrer jeweiligen Altersstufe. 2014 brachte die Zusammenfassung der EM-Ergebnisse bei den weiblichen U16- bis U20-Teams im europäischen Vergleich lediglich einen 17.Platz – 2018 stand dort Rang fünf. Mit der U19, den letztjährigen U18-Europameisterinnen, nimmt Mienack im Juli an der WM in Thailand teil. Ob Nyara Sabally rechtzeitig fit wird, ist noch unsicher. Der Coach will sie nach der langen Pause behutsam heranführen. Eine gute Rolle spielen möchte er mit seinem Team trotzdem: Es ist nach dem männlichen U19-Jahrgang vor zwei Jahren schließlich erst das zweite Mal überhaupt, dass sich eine deutsche Juniorenmannschaft für eine WM qualifiziert hat. Die positive Entwicklung führt der Verband auf eine verbesserte Jugendarbeit zurück – in den Vereinen, aber auch beim DBB habe vor ein paar Jahren ein Umdenken eingesetzt, sagt Armin Andres, Vizepräsident Leistungssport.
Vor allem im chronisch schwächelnden Damenteam stellen sich erste Erfolge ein. „Nächster Schritt muss nun sein, wieder einmal die Qualifikation für die Europameisterschaft zu schaffen und uns darüber in Europa zu etablieren. Wir peilen die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 an“, so Andres. Die Teilnahme wäre historischer Natur: Frauen-Basketball ist seit 1976 olympische Disziplin – ein deutsches Damen-Team, West wie Ost, war noch nie mit dabei.
Anders als bei den Männern, die sich bislang dreimal sportlich für die Olympischen Spiele qualifizieren konnten – zuletzt 2008 in Peking, als Dirk Nowitzki deutscher Fahnenträger war. Auch im europäischen Vergleich sind die deutschen Herren den Damen mindestens zwei Schritte voraus. „In Europa haben wir uns zuletzt unter den Top-Teams etabliert. Nun wollen wir bei der WM in China angreifen“, sagt Andres. Nach einer starken Qualifikationsrunde gibt die Mannschaft vom 30. August bis15. September ihr WM-Comeback, 2011 war sie zuletzt dort am Start. Nationalcoach Henrik Rödl, als Aktiver 1993 Europameister sowie WM-Dritter 2002, kann auf ein breites Reservoir an Talenten zugreifen. In der Qualifikation kamen insgesamt über 30 Akteure zum Einsatz. Er schwärmt vom „größten Talentpool, den wir je hatten“. Und tatsächlich sprechen die Fakten für sich: 2016 und 2018 gewann das deutsche U18-Team das Albert-Schweitzer-Turnier, das als inoffizielle Weltmeisterschaft dieser Altersklasse gilt. Im vergangenen Jahr holten die U20-Junioren Bronze bei der Heim-EM in Chemnitz. Und die U19 wurde vor zwei Jahren Fünfter bei der Weltmeisterschaft.
Optimistisch für WM und Olympia-Qualifikation sind die Verantwortlichen auch,weil der deutsche Basketball inzwischen verstärkt international von sich reden macht. Viele Deutsche spielen in Top-Ligen, sechs davon in der NBA. Einer davon ist Maximilian, genannt Maxi Kleber. Nach vier Jahren Pause gab der 27-Jährige von den Dallas Mavericks vergangenes Jahr sein Comeback im Nationalteam. Beim Nowitzki-Klub hat er sich zu einem Leistungsträger entwickelt, gemeinsam mit den anderen deutschen NBA-Spielern soll er in den kommenden Jahren die Nationalmannschaft führen. Seine Einstellung dafür könnte besser kaum sein: Als junger Spieler wurde Kleber zwei Jahre von der Deutschen Sporthilfe unterstützt – die Fördersumme zahlte er vergangenes Jahr auf einen Schlag zurück. Wie übrigens 2002 auch schon Sporthilfe Alumni-Club Mitglied Dirk Nowitzki, der seine einmalige Karriere im März nach 21 Jahren in der NBA beendete. Große Fußstapfen, aber um den deutschen Nachwuchs muss einem nicht bange sein.
(Veröffentlicht am 18.07.2019)