Blick voraus

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Von wegen Dolce Vita in Italien? 2026 finden in Mailand und Cortina d’Ampezzo die Olympischen und Paralympischen Winterspiele statt – erstmals seit 20 Jahren wieder in Europa. Für die Athlet:innen hat die heiße Phase längst begonnen.


Wintersportler:innen tragen Helme, teils mit Visieren, und Mützen, Ski- und Sportbrillen, dünne oder dickere Anzüge – aber wirklich ins Gesicht schauen kann man ihnen meist nur bei Siegerehrungen. Immerhin: Dies passiert bei deutschen Athlet:innen recht regelmäßig. Im Wintersport ist Deutschland noch immer eine große Sportnation. Seit der Wiedervereinigung landete das deutsche Team nur einmal – 2014 in Sotschi – nicht unter den Top 3 im Medaillenspiegel der Olympischen Winterspiele. Zuletzt gab es 2022 in Peking 27 Medaillen, zwölf davon in Gold – Rang zwei hinter Norwegen. Bis die Erfolgsserie das nächste Mal geprüft wird, dauert es noch ein gutes Jahr. Dann starten in Mailand und Cortina d’Ampezzo (sowie in vielen weiteren Orten in Norditalien) die 25. Olympischen Winterspiele. Es sind die ersten in Europa seit Turin 2006. 

Die Hoffnungen, nach Paris die nächsten stimmungsvollen Sportfeste zu erleben, sind riesig. Italien, das Land des Dolce Vita, kann das eben: einzigartige Bilder erzeugen, auch im Winter. Vom 6. bis zum 22. Februar 2026 kämpfen in Milano-Cortina rund 2.900 Athlet:innen in acht Sportarten um insgesamt 114 Medaillensätze. Die Eröffnungsfeier steigt im Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadion, die Schlussfeier in der legendären Arena von Verona, wo sonst Opern von Verdi und Rossini aufgeführt werden. Wenige Wochen später – vom 6. bis 15. März 2026 – folgen an den gleichen Wettkampforten die Winter-Paralympics.

Der gemeinsame Traum

Das Motto der Olympischen Winterspiele lautet: „Sognando Insieme“ – zusammen träumen. Das tun Tabea Botthof und ihre Mitspielerinnen in der Eishockey-Nationalmannschaft schon lange. 2014 gelang es den deutschen Frauen letztmals, sich für Olympia zu qualifizieren. Vor den Spielen 2022 scheiterten sie als Favoritinnen im entscheidenden Qualifikationsturnier. Jetzt soll es endlich wieder so weit sein. „Es ist unser großes Ziel. Das ganze Team träumt schon Jahre davon“, sagt Botthof. 

Tabea Botthof (Foto: Deutsche Bank)

Sie selbst – obwohl erst 24 Jahre alt – spielt bereits seit 2016 in der Nationalmannschaft. Seitdem hat sich einiges verändert, in Deutschland ist die Sportart viel professioneller geworden. „Es hat sich sehr, sehr viel entwickelt. Es gibt mehr Trainer, mehr Physios, eine bessere Infrastruktur. Und auch die Wahrnehmung ist eine ganz andere“, sagt Botthof. Magenta Sport überträgt mittlerweile die Länderspiele der Frauen-Nationalmannschaft, es gibt Livestreams der Bundesliga-Spiele.

Doch die Unterschiede im Vergleich zu den Männern in punkto Aufmerksamkeit und Finanzen sind nach wie vor gigantisch. Botthof hat am College in den USA und in der schwedischen Profiliga gespielt. Seit gut einem Jahr ist sie zurück in Deutschland. Statt in der 3.500 Personen fassenden Ingalls Rink-Arena in New Haven, Connecticut, spielt sie nun in der SAP-Nebenhalle Nord in Mannheim, Baden-Württemberg. Es gibt keine Tribüne, die wenigen Zuschauer:innen stehen direkt an der Bande. Hier ist man mittendrin, statt nur dabei.

Apropos: Um bei den Olympischen Winterspiele 2026 an den Start gehen zu können, muss Deutschland ein Qualifikationsturnier mit drei anderen Mannschaften gewinnen. Als in der Weltrangliste Bestplatzierte dieser vier Nationen hat das deutsche Team Heimrecht. Ernst wird es im Februar 2025 in Bremerhaven.

„Es wäre extrem wichtig für das Frauen-Eishockey in Deutschland, dass wir uns qualifizieren“, 

sagt Botthof.


Die große Ungewissheit

Die 80 Millionen teure Mehrzweckhalle „Pala-Italia Milano Santagiulia Ice Hockey Arena“, in der 2026 die Eishockey-Spiele stattfinden sollen, ist noch nicht fertig. Aber sie ist weiter fortgeschritten als die Wettkampfstätte, in der Max Langenhan auf erfolgreiche Spiele hofft. Der 25-jährige Rennrodler muss sich als amtierender Weltmeister und Gesamt-Weltcupsieger weniger Sorgen um seine Qualifikation machen als um den Stand der Bob- und Rodelbahn in Cortina d’Ampezzo. Dort wurde der alte Eiskanal, durch den einst schon Filmheld James Bond auf Skiern raste, 2008 stillgelegt und 15 Jahre später halb abgerissen. Nach langem Hin und Her entsteht dort nun – gegen den Willen des IOC (siehe dazu auch Interview ab S. 28) – eine Bahn, die einige der berühmten Kurven ihrer Vorgängerin in eine spektakuläre neue Strecke integrieren soll.

Die Hoffnungen für die Spiele in den Alpen sind groß. Max Langenhan erlebte seine ersten Olympischen Spiele 2022 in Peking unter Corona-Bedingungen: „Das war nicht das, wovon alle immer geschwärmt haben. Du kamst nach China und wolltest am liebsten so schnell wie möglich wieder heim.“ Von Cortina, dem Wintersport-Mekka in den Dolomiten, verspricht er sich ähnlich faszinierende Spiele wie im Sommer 2024 in Paris. 

„Genau dorthin, in die Alpen, gehört der Wintersport. 

Mit der Hoffnung, dass die Bahn rechtzeitig fertig wird. Denn so richtig ist die Stimmung noch nicht da.“

2022 in Peking wurde er als Newcomer Sechster und war damit drittbester Deutscher – das kann das Schicksal sein in einer erfolgsverwöhnten Sportart wie dem Rennrodeln.

Max Langenhan, Weltmeister und Gesamtweltcup-Sieger (Foto: picture alliance)

Inzwischen hat sich die Hackordnung verändert: Langenhan ist der Athlet, den die Weltelite jagen wird. Besonderer Druck für den jungen Sportsoldaten? Er wiegelt ab: „Ich bin der Max, der ich vorher auch war. Vielleicht habe ich eine Medaille mehr um den Hals hängen, aber das macht mich jetzt nicht zu einem anderen Menschen.“

Max Langenhan (Foto: picture alliance)

Das Highlight in der vorolympischen Saison ist die WM Anfang Februar im kanadischen Whistler. Bis dahin geht es um die Quotenplätze für die Olympischen Winterspiele. Der neue Nationaltrainer Patric Leitner, Olympiasieger im Doppelsitzer 2002 und Nachfolger von Erfolgscoach Norbert Loch, hofft auf das maximale Kontingent von je drei Startplätzen im Einzel sowie zwei in den beiden Doppelsitzer-Disziplinen.

Im Männer-Einer wird Weltmeister Langenhan eingerahmt von Routinier Felix Loch und starken Nachwuchstalenten. Im Frauen-Einzel peilt Serien-Weltmeisterin Julia Taubitz ihre erste Olympia-Medaille an, hat aber interne Konkurrenz durch die Olympia-Zweite Anna Berreiter und Shooting-Star Merle Fräbel. Im Herren-Doppelsitzer feiert der 2023 zurückgetretene Toni Eggert sein Comeback mit dem 14 Jahre jüngeren Florian Müller – sie wollen die Phalanx der sechsfachen Olympiasieger Tobias Wendl und Tobias Arlt durchbrechen.

Der Damen-Doppelsitzer feiert in Cortina Premiere im olympischen Programm. Möglich, dass sich hier nur ein deutscher Schlitten qualifizieren wird. Auf der Pole-Position in die neue Saison geht das Doppel Jessica Degenhardt/Cheyenne Rosenthal, Weltmeisterinnen 2023. Chancen rechnet sich außerdem die erfahrene Dajana Eitberger, Silber-Medaillengewinnerin von Pyeongchang 2018 im Einsitzer, aus, die inzwischen zum Doppelsitzer gewechselt ist und dort mit der jungen Magdalena Matschina antritt.

Medaillenchancen haben fast alle, das Rennrodeln bleibt eine deutsche Medaillenbank. Langenhan fasst es so zusammen: „Wenn du weißt, dass du in Deutschland einer der besten bist, dann weißt du auch, dass du in der Weltspitze nicht schlecht aufgehoben bist.“


Die einzige Chance

Die Sache mit den Erfolgen und dem dazugehörigen Druck kennt Ramona Hofmeister bestens. Die 28-Jährige hat in den vergangenen fünf Jahren viermal den Gesamtweltcup im Alpin-Snowboard gewonnen, einmal wurde sie Zweite. In fast jedem zweiten Weltcuprennen ihrer Karriere stand sie auf dem Podium. So konstant ist seit Jahren keine andere Snowboarderin weltweit. Nur bei den großen Einzel-Events fehlt ihr noch ein Titel: Olympia-Bronze 2018, WM-Silber 2021 und -Bronze 2019 hat sie gewonnen. Bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking landete sie, als Favoritin, auf dem fünften Platz.

Seit 2018 ist nur noch eine von drei im Weltcup ausgetragenen Disziplinen olympisch, der Parallel-Riesenslalom – Hofmeisters Paradedisziplin. Gefahren wird nach der Qualifikation in einem K.O.-System mit zwei Läufen. Frau gegen Frau, Fehler sind kaum wiedergutzumachen.

„Das ist die große Herausforderung: Wir haben nur eine Chance. Das ist mental nicht so einfach, sich in vier Jahren auf den einen Tag vorzubereiten“, 

sagt Hofmeister. Es werden ihre dritten Olympischen Winterspiele, nach zweimal Asien nun die ersten in Europa.  „Mega geil“, findet sie das. Auch wenn noch nicht klar ist, was auf sie und das restliche deutsche Team zukommt. Die Wettbewerbe finden in Levigno statt. „Ich kenne die Piste nicht. Sie war zwar schon zweimal im Weltcup-Plan, aber beide Male hat das Event nicht stattgefunden.“

Ramona Hofmeister, viermalige Gesamtweltcup-Siegerin und „Cover-Star“ der aktuellen Ausgabe des Sporthilfe Magazins. (Foto: picture alliance)

Unbekanntes Terrain also für die deutschen Alpin-Snowboarder:innen. Neben Hofmeister, die sicherlich die größten Medaillenchancen besitzt, sind das bei den Frauen Melanie Hochreiter und Cheyenne Loch, bei den Männern Stefan Baumeister, Elias Huber, Yannik Angenend und Ole Mikkel Prantl. Wenn sich Ramona Hofmeister, geübte Italien-Urlauberin, etwas wünschen dürfte für die noch unbekannte Piste in der Lombardei, dann das: Eisig soll sie sein. Auf italienisch: „ghiacciato”.


Das eisige Vergnügen

Nicht zu verwechseln mit dem zweiten Wort für „Eis”, das die italienische Sprache kennt: „Gelato“. In Hendrik Dombeks Sprachschatz spielt diese Vokabel eine wichtige Rolle: Vor ein paar Jahren hat sich der Eisschnellläufer angewöhnt, vor wichtigen Rennen ein Eis zu essen. „In China eher Softeis, aber das war gar nicht so einfach zu bekommen. In Japan gibt es kleine Eisbällchen, ähnlich wie Konfekt. Und in den USA und Kanada natürlich Eis am Stiel“, zählt der Kenner auf. Wenn eine Sache sicher ist, dann wohl diese: In Italien wird Dombek auch im Februar auf seine Kosten kommen.

Hendrik Dombek (Foto: picture alliance)

Unsicherer ist für den 27-jährigen Langstreckenspezialisten die eigene Gesundheit. Ende Oktober verletzte er sich und wird voraussichtlich die erste Saisonhälfte verpassen. Ärgerlich für einen, der in der vergangenen Saison den Durchbruch schaffte und nach eigener Aussage „so gut wie noch nie“ in Frühform war. Dennoch hat er für diesen Winter große Ziele. Das Wichtigste: Eine Top-8-Platzierung bei der WM, um den Sprung in den Olympiakader zu schaffen. Aktuell haben diesen Status in der Deutschen Eisschnelllauf- und Shorttrack-Gemeinschaft (DESG) nur drei Athletinnen inne. 

„Der Olympiakader ist aber nur ein Zwischenziel“, sagt Dombek. 

„Das klare Ziel heißt, eine Olympia-Medaille in Milano-Cortina zu holen. Dort auf dem Höhepunkt zu sein, darauf ist alles ausgerichtet.“ 

Durchaus ambitioniert: Die DESG, einst Garantin für Medaillen, ist seit drei Olympischen Winterspielen ohne Edelmetall. Die letzte Olympia-Medaille für die deutschen Männer, Bronze über 5.000 Meter, holte Jens Boden 2002 in Salt Lake City. Hendrik Dombek war damals gerade einmal vier Jahre alt. 

24 Jahre später will der gebürtige Münchner seine Jagd auf die Olympia-Medaille starten – auf einem Oval, das es Stand heute noch nicht gibt. Geplant ist eine temporäre Eisbahn auf dem Messegelände Mailands, dem größten Messezentrum Europas. Man erkennt: Es gibt eine gewisse Regelmäßigkeit – in vielen Sportarten herrscht im Winter vor den Spielen noch viel Ungewissheit zu den Sportstätten.


Der schwarz-rot-goldene Partybus

Da tut es gut zu hören, dass zumindest eine Athletin schon genau weiß, wo sie – Gesundheit vorausgesetzt – 2026 an den Start gehen wird. Nur wie es im Val die Fiemme genau aussieht, das weiß Linn Kazmaier nicht. Die sehbehinderte Athletin ist trotz ihrer erst 18 Jahre ein Aushängeschild des paralympischen Wintersports in Deutschland. In Peking gewann sie 2022 im Biathlon und Skilanglauf fünf Medaillen, davon eine in Gold – mit gerade einmal 15 Jahren. Hinzu kamen mittlerweile sieben WM-Titel.

„Seitdem ist viel auf mich eingeprasselt, das muss ich erst einmal alles verarbeiten“, sagt Kazmaier. Diesen Winter sieht sie daher als eine Art „Zwischensaison, um mich zu sortieren“ – trotz Weltmeisterschaften in beiden Sportarten. „Nebenbei“ will sie direkt nach den Paralympics 2026 das Abitur meistern, danach vielleicht für ein Jahr nach Norwegen gehen. Ein Wechsel auf ein renommiertes Skiinternat in Lillehammer schon vor dem Abitur hatte sich zerschlagen: „Dort gab es in diesem Jahr viele Trainerwechsel. Und dann im ersten Jahr, in dem sie paralympische Sportler annehmen wollten, gleich mit einer Ausländerin zu starten – das war ihnen zu unsicher.“

Kazmaier hat das Thema vorerst abgehakt, konzentriert sich mit ihrem Guide Florian Baumann – die beiden sind entfernt miteinander verwandt – auf das gemeinsame Training in Deutschland. Langfristiges Ziel: Im Langlauf zusammen mit olympischen Athletinnen anzutreten, so wie es der Kanadier Brian McKeever einst vorgemacht hat: Der elffache Paralympicssieger hatte sich 2010 auch für die Olympia-Mannschaft qualifiziert (auch wenn er am Ende nicht eingesetzt wurde).

Linn Kazmaier (Foto: picture alliance)

„Das ist schon ein Ziel von mir“, sagt Kazmaier – wohlwissend, dass sie anders als der weniger stark seheingeschränkte McKeever auf einen Guide bauen muss und das ein Diskussionsthema sein wird.

Nun aber freut sie sich zunächst auf die Paralympischen Spiele, nahe ihrer baden-württembergischen Heimat. Im März 2026 wird es für sie ernst – und vielleicht auch ein bisschen lustig: Kazmaiers Bruder wird während der Paralympics volljährig und hat bereits angekündigt, seine Schwester vor Ort mit zwei Partybussen zu unterstützen.

 

Erschienen im Sporthilfe Magazin

Zur aktuellen Ausgabe (02.2024)

 

 


Wintersportler:innen und ihre Kleidung

Was bedeutet den Athlet:innen ihre Ausrüstung? Die Antworten lassen – anders als Helm, Maske und Brille – tief blicken:

Foto: picture alliance

 

"Helm und Gitter bedeuten in unserer Sportart Schutz. Es kann immer etwas passieren, aber dadurch fühle ich mich unverwundbar. Als Spielerinnen werden wir anonymer, man erkennt hinter dem Gitter kaum die Mimik. Aber der Helm sorgt auch für ein Einheitsgefühl. Das gleiche Design, die gleiche Werbung, das gibt Zugehörigkeit. Ich werde lieber als ein Teil der Mannschaft gesehen."

- Tabea Botthof, Eishockey

 

 

„Inkognito durch Anzug und Kapuze? Das würde ich so nicht sagen. Es ist der Sportart geschuldet, dass wir ‚vermummt‘ sind. Und es trägt zur Performance bei: Der Anzug ist aerodynamisch, die Brille hält den Wind aus den Augen. Aber dahinter wünschen wir uns ganz klar eins: mehr Aufmerksamkeit.“

- Hendrik Dombek, Eisschnelllaufen

Foto: picture alliance
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„Helm und Brille gehören einfach dazu. Ich habe ja noch ein persönliches Markenzeichen mit Wiedererkennungswert: das Leo-Halstuch. Es ist eher zufällig mein Glücksbringer geworden. Und ich kann alle beruhigen: Es ist natürlich nicht immer dasselbe. Sie werden gewechselt.“

- Ramona Hofmeister, Snowboard



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