Foto: Niklas Niessner

Shorttrack-Star Anna Seidel: Deutsche Botschafterin auf dem Olympia-Eis

Mit gerade einmal 15 Jahren nahm Shorttrackerin Anna Seidel 2014 in Sotschi zum ersten Mal an Olympischen Winterspielen teil und galt seither als das große Versprechen einer Sportart, die in Deutschland nur eine Nebenrolle spielt. In Peking peilt die Dresdnerin ihre dritten und letzten Spiele an – und will dort eine Olympia-Medaille gewinnen.

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In der Dresdner Eisarena, wo sonst bei Toren des Eishockey-Zweitligisten das Nebelhorn bläst und junge Eiskunstläufer:innen zu Disney-­Balladen proben, läuft heute Deutsch-Rap. Es ist die Playlist von Shorttrackerin Gina Jacobs, zu der die deutsche Nationalmannschaft ihre Trainingsrunden dreht, eine nach der anderen, auf der exakt 111,12 Meter langen ovalen Bahn. Vorweg läuft eine junge Frau, die nach eigener Aussage lieber „richtige Musik“ hört. Ihr Name: Anna Seidel. Mit ihren gerade 23 Jahren ist die gebürtige Dresdnerin schon eine Legende im deutschen Shorttrack-Sport. Eine Karriere im Schnelldurchlauf: Im Alter von 13 Jahren kam Seidel in den C-­Kader und wird seitdem von der Deutschen Sporthilfe gefördert. Ein Jahr später gab sie ihre Premiere im Weltcup, mit 15 qualifizierte sie sich zum ersten Mal für die Olympischen Winterspiele und wurde dort, 2014 im russischen Sotschi, starke Sechste. Mit 17 gewann sie als EM-­Dritte ihre erste internationale Medaille, mit 19 fuhr sie bereits zum zweiten Mal zu Olympia. Zwischendurch kam sie von einer schweren Wirbelverletzung zurück und bestand 2018 ihr Abitur.

Ein Jahrzehnt ist Seidel damit bereits das Gesicht des deutschen Shorttracks – einer Sportart, die hierzulande im Schatten des großen Bruders Eisschnelllauf steht. Im Shorttrack geht es nicht um die Zeit, sondern darum, im direkten Duell als erstes ins Ziel zu laufen. Die Runden sind kürzer, die Intensitäten höher – stellenweise wird in den K.O.­-Phasen mit harten Bandagen um die Positionen gekämpft, häufige Führungswechsel inklusive. „Deswegen ist es viel spannender und macht mir auch viel mehr Spaß als Eisschnelllaufen“, sagt Anna Seidel, die einst wegen der höheren Geschwindigkeit von der Leichtathletik aufs Eis gewechselt ist. In die Eishalle gekommen war sie damals über ihren jüngeren Bruder, der Eishockey spielt. Die Sächsin ist fasziniert von ihrem Sport, hadert aber umso mehr mit dessen Stellenwert:

„Es stört mich, dass Shorttrack in Deutschland eine Randsportart ist. Es ist schade, dass wir nicht so richtig wahrgenommen werden.“

Die Aufmerksamkeit für Shorttrack fokussiert sich hierzulande auf Anna Seidel, die sich auf ihren Social-Media-Kanälen, aber auch bei TV- und Sponsoren-Events stark in Szene zu setzen weiß. Umso schwerer fällt es zu glauben, dass sie selbst ihr mangelndes Selbstbewusstsein als größte sportliche Schwäche einschätzt. An der Startlinie neben Athletinnen zu stehen, von denen sie noch vor wenigen Jahren ehrfürchtig Autogramme gesammelt hat, hemmt sie bisweilen.

Mit Social-Media- und Medienauftritten sorgt Seidel für große Aufmerksamkeit (Foto: Niklas Niessner)

Auch spürt sie mittlerweile mehr Verantwortung und extra Druck bei Heim-Wettkämpfen: „Da merke ich schon, dass oft nach mir gefragt wird und viel auf meinen Schultern lastet. Früher habe ich das nicht richtig realisiert. Da war es einfach nur schön, dass sich jemand für Shorttrack interessiert hat und ich für etwas Aufruhr sorgen konnte.“ Tatsächlich sind die Erwartungen merklich gestiegen. Genoss Seidel in Sotschi noch Welpenschutz, war die Kritik 2018 in Pyeongchang nach zwei Stürzen schnell da. Auch wenn sie die besten deutschen (Damen-)Ergebnisse in der Geschichte der Sportart fabriziert, zweimal EM-Silber und viermal -Bronze gewann, scheint ihr zum ganz großen Durchbruch noch etwas zu fehlen. Edelmetall bei Olympia?

„Das wird zwar nicht offen ausgesprochen, aber man merkt unterschwellig, dass in Deutschland die Medaille als einziges wirklich zählt – gerade für die Medien. Ich weiß, dass ich die Medaillen, die von mir gefordert werden, auch von mir selbst erwarte.“

Im Shorttrack heißt es oftmals „Frau gegen Frau“ (Foto: picture alliance)

Das große Ziel heißt Peking 2022. Es wären ihre dritten Spiele. Die Drei ist Anna Seidels – geboren übrigens am 31.3. – Lieblingszahl und hat sich im Laufe der Jahre zu einem Tick entwickelt. Sie trinkt in Dreier-Schlucken, führt in der Wettkampfvorbereitung viele Dinge dreimal aus, sagt sich vor dem Rennen ihren Dreiklang „Ich schaffe das, ich packe das, das ist mein Ding“ auf. Schon die 15-jährige Anna wusste, dass sie dreimal zu Olympischen Spielen möchte. Die 22-Jährige rechnet heute vor: Die Quersumme von 2022 ist sechs, durch zwei geteilt – ergibt wieder drei.

Und nach Peking? Will sie die Leistungssportkarriere ausklingen lassen, vielleicht noch ein oder maximal zwei Jahre weitermachen. Shorttrack ist körperlich sehr intensiv – das musste Seidel jüngst wieder vor der Weltmeisterschaft erfahren, als sie sich im Training das Schien- und Wadenbein brach. Es braucht also wieder ein großes Comeback, und auch wenn sie das Dasein als Athletin weiterhin tagtäglich antreibt, „gibt es noch viele andere Dinge außerhalb des Leistungssports, die mich interessieren und die ich noch machen will“. Studieren zum Beispiel, raus aus Dresden. Auch wenn es sich anders anfühlt: Nach Peking 2022 wird die „ewige Anna“ erst kurz vor ihrem 24. Geburtstag stehen.

(Veröffentlicht am 19.03.2021, aktualisiert im Dezember 2021)

Erschienen im Sporthilfe-Magazin go!d - Zur kompletten Ausgabe (1/2021)

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Anna Seidel: Botschafterin auf dem Eis



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