Radsportlerin Ricarda Bauernfeind studiert Sport und Ernährungs- und Hauswirtschaft auf berufliches Lehramt und schaffte zum Jahreswechsel parallel den Aufstieg vom Canyon//SRAM Racing-Nachwuchsteam in das World Tour Team. Nach WM-Bronze 2022 sowohl im Straßenrennen als auch im Zeitfahren sowie dem Europameistertitel in der Mixed-Staffel in den U23-Wertungen feierte sie 2023 sensationell erfolgreiche Debuts bei der Vuelta Femenina (Platz 5) und zuletzt bei der Tour de France Femme (Platz 9 in der Gesamtwertung und ein Etappensieg). Zwischen den beiden Tourenfahrten schrieb die 23-jährige Eichstätterin intensiv an ihrer Bachelorarbeit und schätzt die gleichzeitig sportlichen wie geistigen Herausforderungen durch die Doppelbelastung.
Ricarda, Du hast mit Deinem Etappensieg und der Top-10-Platzierung in der Gesamtwertung bei der Tour de France Femme sämtliche Erwartungen weit übertroffen. Kannst Du das mittlerweile fassen?
Wenn ich daran denke oder mir Videos vom Rennen anschaue, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Ich brauche noch etwas Zeit, um das zu realisieren, aber es ist ein wahnsinns-Gefühl. Dass ich einen Etappensieg einfahren kann, hätte ich mir nicht einmal für meine gesamte Laufbahn erträumt. Es muss in einem Moment so viel passen und dass mir das ausgerechnet jetzt bei meiner ersten Tour de France passiert, hätte ich niemals gedacht.
Das ist einfach gigantisch und macht mich stolz, ist aber auch eine Bestätigung, dass sich jede einzelne Schweißperle und jede einzelne Träne für diesen einen Moment gelohnt hat.
Schon im Dezember hattest Du mit zweimal Bronze bei der U23-WM Deine Wettkampfstärke bewiesen. Hattest du damit gerechnet?
Ich habe nicht unbedingt damit gerechnet, aber natürlich geliebäugelt. Beim Straßenrennen war mein Ziel eine Medaille, aber da es ein Rennen im Rennen der „Großen“ und kein separates U23-Rennen war, hätte alles passieren können. Meine Mannschaft ist nicht nur auf die U23-Wertung gefahren, sondern mein Erfolg ist eher „nebenbei“ herausgesprungen. Beim Zeitfahren hatte ich keine Vergleiche, wie ich stand, weil ich bei der U23-EM einen Defekt hatte. Daher bin ich sehr offen ins Rennen gegangen und habe mich dann umso mehr über die zweite Medaille gefreut.
Auch darüber hinaus war 2022 für Dich sportlich ein äußerst erfolgreiches Jahr. Was hat sich für Dich dadurch verändert?
Zum einen habe ich den Wechsel vom Nachwuchsteam ins World Tour Team Canyon//SRAM Racing geschafft. Zum anderen der Rennumfang, denn im Nachwuchsteam bin ich eher kleinere Rennen gefahren, ohne Druck von außen. Das war für mich ein wichtiger Zwischenschritt, denn der Unterschied zwischen Bundesliga und World Tour ist riesengroß. Dieses Jahr habe ich mich dann von Anfang besser im Feld zurechtgefunden.
Du hast das World-Tour-Team angesprochen: Wie sehr ist das mit einem Pro-Team bei den Männern vergleichbar, was fehlt bei euch noch?
Wir haben eigentlich alles, aber in abgespeckter Version. Die Männer haben noch einen Koch, mehr Fahrzeuge, eine bessere Logistik, da fehlt’s bei uns noch. Das liegt am Geld, die Frauenteams können weniger Personal beschäftigen. Bei uns sind die Physios gleichzeitig die Köche und bereiten unsere Mahlzeiten vor. Für die Femenine Tour de France haben wir zwar mal einen Extra-Koch, aber bei den Männern gibt es zusätzlich noch Ernährungsberater und viele weitere Teammitglieder. Trotzdem können wir uns da im Vergleich zu anderen Sportarten nicht beschweren.
Das war nicht immer so. Wie siehst Du die Entwicklung, die der Frauenradsport in den letzten Jahren genommen hat?
Die kommt mir sehr entgegen. Früher konnte man als Frau vom Radsport definitiv nicht leben. Wir Sportlerinnen sind nach wie vor, früher jedoch noch viel intensiver, auf alle finanziellen Förderungen angewiesen, die es nur geben kann: allen voran die Sporthilfe, aber auch Polizei, Bundeswehr und eigene Sponsoren. Mittlerweile ist es in guten Teams möglich, davon kostendeckend zu leben und sich eine Wohnung leisten zu können.
Im Gegensatz zu vielen „Profis“ studierst Du parallel zum Sport Lehramt. Wie meisterst Du diese Doppelbelastung?
Im aktuellen Sommersemester schreibe ich „nur noch“ meine Bachelorarbeit, das ist überschaubar. (lacht) Mir kam Corona definitiv zugute, weil plötzlich alles online war. Ich konnte vieles am Abend nacharbeiten und selbst Prüfungen online im Trainingslager schreiben. Sonst ist das im Lehramtsstudium nicht möglich. Dadurch konnte ich einige Module vorziehen und mehrere gleichzeitig machen, insbesondere im Winter. Im Sommer ist es schwieriger, weil ich immer unterwegs und nur selten mal mehr als drei Tage hintereinander zuhause bin.
Das erfordert viel Zeitmanagement und Disziplin…
Ja, die Zeit muss ich mir gut einteilen, aber mir ist es wichtig, beides zu machen. Ich will später unbedingt Lehrerin werden, das war schon immer mein Ziel. Während bzw. dank Corona bin ich zum Radsport zurückgekommen, nachdem ich schon kurz davor war, damit aufzuhören. Mein Studium war mir so wichtig, aber ich dachte mir „probier’s nochmal und vielleicht klappt es.“ Es ist schon zeitaufwändig, und nach einem Rennen bin ich auch mal so kaputt, dass es mal nicht so viel Spaß macht, noch etwas für die Uni zu machen.
Aber ich brauche diesen Ausgleich und sowohl die körperliche als auch die geistige Belastung.
Kommen da manchmal Zweifel auf, wenn Du zwischen den Wettkämpfen lernst und andere besser regenerieren können?
Eigentlich nicht. Dadurch, dass die Wettkämpfe im Sommer sind und ich im Sommer im Studium nicht Vollgas gebe, geht das. Bei Rundfahrten versuche ich nicht, mich noch zwischen den Fahrten mit der Uni zu stressen. Aber an Pausentagen habe ich dann ohnehin viel Freizeit und kann sie damit gut nutzen.
Welche Rolle spielt die Sporthilfe-Förderung und das Deutsche Bank Sport-Stipendium bei dieser Herausforderung für Dich?
Die Sporthilfe ist in allen Bereichen eine wertvolle Unterstützung, nicht nur finanziell, sondern auch durch ihre Partner und deren Angebote. Das Deutsche Bank Sport-Stipendium ist nochmal eine extra Auszeichnung und besondere Hilfestellung, Sport und Studium unter einen Hut zu bringen und beides weiterzumachen. Es ist eine Anerkennung für meine Leistungen in beiden Bereichen.
Angenommen, Du wirst Sport-Stipendiatin des Jahres und Dein Stipendium wird dadurch aufgestockt: Was würde sich dadurch für Dich ändern?
Es würde mir etwas mehr Freiheit bringen. Außerdem ist es eine riesengroße Auszeichnung, ganz Deutschland kann abstimmen und ich habe es unter die Top fünf geschafft. Allein das ist schon eine Auszeichnung. Ich freue mich auf den Wahlkampf.
Geburtsdatum: 1. April 2000 in Ingolstadt
Sportart: Radsport
Wohnort: Eichstätt
Team: Canyon//SRAM Racing
Größte Erfolge:
U23-WM-Dritte 2022 im Einzelzeitfahren und im Straßenrennen
U23-Europameisterin 2022 in der Mixed-Staffel
Etappensiegerin und Gesamt-Neunte der Tour de France Femme 2023
Platz 3 (Etappe) sowie Platz 5 (Gesamtwertung) bei der Vuelta 2023
Studium: Ernährungs- und Hauswirtschaft & Sport auf Lehramt
Universität: TU München
Die Deutsche Bank, seit 2008 Nationaler Förderer der Deutschen Sporthilfe, unterstützt im Rahmen der Sporthilfe-Förderung studierende Spitzenathlet:innen mit dem Deutsche Bank Sport-Stipendium. Aktuell profitieren etwa 350 Sporthilfe-geförderte Athlet:innen von dem Programm, das mit einem Zeitbonus über die Regelstudienzeit hinaus gewährt wird. Die besonderen Leistungen der studierenden Athlet:innen werden mit der Wahl „Sport-Stipendiat:in des Jahres“ zusätzlich gewürdigt. Die Deutsche Bank verdoppelt dem bzw. der Sieger:in das Stipendium für 18 Monate. Die vier weiteren Finalist:innen erhalten für den gleichen Zeitraum eine Zusatzförderung von 50 Prozent des monatlichen Stipendiums.