Vor Sitzvolleyballerin Anne-Kathrin Berndt stehen im diesjährigen Kalender noch zwei sportliche Highlights: die Europameisterschaften in Italien im Oktober und der World Cup in Kairo, einen Monat später. Neben der Vorbereitung auf diese beiden Großereignisse stemmt die 36-Jährige ein duales Masterstudium in Recht und Management inklusive Vollzeitjob.
Im Mai letzten Jahres hast Du Dir den Fuß an Deinem gesunden Bein gebrochen – mit Deiner Prothese am anderen Bein eine sehr schwerwiegende Verletzung. Was bedeutete das für Dich und Deinen Alltag?
Es war das erste Mal seit meiner Krebserkrankung und der Amputation meines Beines, dass ich mich wieder so richtig eingeschränkt und hilflos gefühlt habe. Ich bin ein Mensch, der eigentlich alles selbst macht, egal was. Ich brauche keine fremde Hilfe, bin selbstständig, auf niemanden angewiesen und agil.
Auf einmal nicht mehr laufen zu können, war erst einmal eine große Herausforderung und eine ganz schwierige Zeit.
Trotzdem wurdest Du noch im gleichen Jahr für die WM in Sarajevo nominiert. Wie hast Du es geschafft, Dich aus diesem Tief heraus zu kämpfen?
Dass ich nach dieser Verletzung überhaupt nominiert wurde, war für mich ein riesiger Glücksfall, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hätte. Gleichzeitig war es der größte Ansporn, mich nach dem Fußbruch zurück zu kämpfen. Das hat mich sehr gepusht und ich wollte alles geben. Ehrlicherweise habe ich aber unterschätzt, was das Ganze mental mit sich bringt, und habe mich tierisch unter Druck gesetzt, sodass ich nicht die Leistung zeigen konnte, die ich gerne gezeigt hätte. Bei der WM – verständlicherweise – die meiste Zeit auf der Bank verbringen zu müssen, war noch einmal echt herausfordernd. Ich habe mich selten zuvor in meinem Leben so hin- und hergerissen gefühlt.
Im Jahr zuvor hast Du EM-Bronze gewonnen, nur ein Jahr nach Deinem Debüt mit der deutschen Nationalmannschaft. Jetzt bist du 36. Hättest du mit Ende 20 gedacht, dass sich Dein Weg in diese Richtung entwickeln wird?
Nein, in dem Alter habe ich noch nicht einmal darüber nachgedacht, nochmal so eine Chance zu bekommen. Zum einen wieder eine Mannschaftssportart zu betreiben und zum anderen so hochklassig zu spielen, war damals undenkbar.
Ich stand an einem ganz anderen Punkt im Leben, habe meinen Mann kennengelernt und mich in die Rolle einer Stiefmutter für zwei Töchter eingelebt. Sport war noch kein großes Thema.
Wie kam es dann dazu?
Ich habe schon früher davon gehört, dass es Vereine für Sitzvolleyball gibt. Die waren aber zu weit entfernt. In meiner Kindheit und Jugend habe ich Handball gespielt, war Torwartin, musste den Sport dann jedoch irgendwann aufgeben, weil meine Prothese zu oft kaputt ging. Nach diesem Cut hat mir das Thema Mannschaftssport aber sehr gefehlt. Als ich erfahren habe, dass es in Bremen eine Sitzvolleyballmannschaft gibt, habe ich mich angemeldet und bin seitdem dabei. Dann kam Corona, wir haben trotzdem – soweit es die Gegebenheiten erlaubten – draußen weitergemacht und dann wurde ich auch relativ fix in ein Trainingslager der Nationalmannschaft eingeladen. Und seitdem bin ich dabei.
Bei alledem stärkt Dir Deine Familie den Rücken?
Ja, meine Familie gibt mir den größten Rückhalt, den ich mir vorstellen kann. Das sind mein Ehemann, seine Töchter, mein Papa und eine ganze Familienbande drum herum. Gerade ohne den engsten Kreis wäre das alles nicht möglich und ist für mich absolut keine Selbstverständlichkeit. Umso mehr freue ich mich natürlich, wenn auch ich mal mit Ratschlägen zur Seite stehen und ein gutes Vorbild sein kann. Vielleicht lernen sie von mir: Wenn man sich was vornimmt und es wirklich will, dann schafft man es auch.
Familienleben, Leistungssport, duales Studium inklusive Vollzeitjob – wie viele Stunden hat Dein Tag, um in allen Bereichen erfolgreich zu performen?
Definitiv zu wenig Stunden (lacht)!
Es ist schon sehr herausfordernd, alles unter einen Hut zu bekommen und allen Bereichen gerecht zu werden. Es erfordert ein gutes Zeitmanagement.
Ich habe feste Slots fürs Training, fürs Lernen, für Klausuren, für die Arbeit. Das duldet aber kaum Platz für spontane Termine. Darunter leidet manchmal der private Teil. Nicht jeder kann das nachvollziehen. Aber ich denke mir, wenn man wirklich ein Ziel verfolgt – in meinem Fall das Studium erfolgreich durchzuziehen, den Sport voranzutreiben und den Job weiter auszuführen – muss man Opfer bringen. Trotzdem mache ich alles gerne, ich weiß ja, wofür!
Warum hast Du Dich für die zusätzliche Belastung durch ein duales Studium entschlossen. Wo liegen Deine langfristigen Perspektiven?
Als ich den Leistungssport schon betrieben habe, habe ich mich dazu entschlossen, das Masterstudium noch an meinen Bachelorabschluss zu hängen. Denn irgendwie hat es mich nicht losgelassen, es zu probieren. Karrieretechnisch bin ich noch nicht da angekommen, wo ich ankommen könnte. Ich habe Lust darauf, mich weiterzuentwickeln, würde langfristig gerne eine Führungsrolle übernehmen und weiß, dass ich dafür noch mehr Background brauche. Das ist nun mein Ansporn, um vorweisen zu können, dass ich belastbar bin und das Zeug dafür habe.
Wie blicken Deine Arbeitskolleg:innen auf Deine duale Karriere und Deinen Werdegang?
Ich weiß, dass einige schon mit Bewunderung auf das schauen, was ich leiste. Sie wollen aber auch auf keinen Fall mit mir tauschen, aufgrund der Fülle an Aufgaben, die täglich anstehen (lacht). Aber sie unterstützen mich in allem und halten mir den Rücken frei, wenn ich kurzfristig doch mal Termine habe.
Mit Deinen Erfolgen setzte auch die Förderung der Sporthilfe ein. Was bedeuten Dir diese Unterstützung und die Möglichkeiten, die das Deutsche Bank Sport-Stipendium mit sich bringen?
Gerade in einer paralympischen und eher unbekannten Randsportart gibt einem die Förderung zum einen Anerkennung, aber zum anderen auch eine gewisse Sicherheit und einen Puffer. Sie entlastet mich vor allem in Hinblick auf meine Masterthesis, die ich weiterhin innerhalb der Regelstudienzeit schreiben will. Mit der Förderung kann ich mir eine Auszeit von meinem Arbeitsalltag nehmen und mich zu 100 Prozent nur darauf konzentrieren. Die Aufmerksamkeit durch die Nominierung ist etwas ganz Neues für mich. Trotzdem will ich auch auf all die anderen aufmerksam machen, die ebenfalls im Sport und der beruflichen Karriere viel leisten und mit schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen haben.
Vielleicht inspiriere ich den ein oder anderen, der sich denkt: ‚Wenn die das schafft, schaffe ich es auch!‘ Damit hätte ich schon alles erreicht, was ich erreichen kann.
Geburtsdatum: 4. Februar 1987 in Halle an der Saale
Sportart: Sitzvolleyball
Wohnort: Achim
Verein: BTS Bremen Neustadt
Größte Erfolge:
6. Platz WM 2022
3. Platz EM 2021
Studium: Recht & Management
Universität: FOM Hochschule für Ökonomie & Management
Die Deutsche Bank, seit 2008 Nationaler Förderer der Deutschen Sporthilfe, unterstützt im Rahmen der Sporthilfe-Förderung studierende Spitzenathlet:innen mit dem Deutsche Bank Sport-Stipendium. Aktuell profitieren etwa 350 Sporthilfe-geförderte Athlet:innen von dem Programm, das mit einem Zeitbonus über die Regelstudienzeit hinaus gewährt wird. Die besonderen Leistungen der studierenden Athlet:innen werden mit der Wahl „Sport-Stipendiat:in des Jahres“ zusätzlich gewürdigt. Die Deutsche Bank verdoppelt dem bzw. der Sieger:in das Stipendium für 18 Monate. Die vier weiteren Finalist:innen erhalten für den gleichen Zeitraum eine Zusatzförderung von 50 Prozent des monatlichen Stipendiums.