Michael Stich im Interview

Tennisikone Michael Stich: „Deutschland muss sich der Bedeutung des Sports wieder viel bewusster werden“

Michael Stich, in den 1990er Jahren einer der erfolgreichsten Tennisspieler der Welt, ist inzwischen unter anderem als Künstler tätig. In diesem Jahr gestaltete er eine der drei Briefmarkenmotive „Für den Sport“ zugunsten der Sporthilfe. Ein Gespräch über die „Faszination der Spiele“, den Stellenwert seines Olympiasieges 1992, die Bedeutung des Spitzensports für die Gesellschaft und über Courage.


Hattest Du jemals den Wunsch, als Künstler eine Briefmarke zu gestalten?

Als ich mit der Kunst angefangen habe, war so ein Gedanke nie wirklich in meinem Kopf. (lacht) Umso mehr war ich überrascht, als die Anfrage kam. Gleichzeitig empfinde ich es auch als eine unglaubliche Ehre. Zum einen, dass man etwas für die Ewigkeit schafft – ich denke, das kann man durchaus so sagen – und zum anderen, weil es auch der Sporthilfe zugutekommt. Das heißt, ich kann mit dazu beizutragen, dass junge Athleten weiter gefördert werden und vielleicht auch irgendwann bei den Olympischen Spielen teilnehmen können.

Welche Erinnerungen verbindest Du mit Deiner eigenen Teilnahme an den Olympischen Spielen in Barcelona?

1992 sind wir Tennisspieler ein bisschen als Außenseiter dorthin gekommen. Es war erst das zweite Mal, dass Tennis eine olympische Disziplin war. Wir haben mit den Fechtern, die damals extrem erfolgreich waren, zusammen in einem Haus im Olympischen Dorf gewohnt. Und die waren die ersten zwei Tage mit uns nicht wirklich glücklich. Sie haben uns nicht als olympische Athleten gesehen, wir waren für sie die Tennis-Millionäre.

Hat sich dieses Bild im Laufe der Spiele gewandelt?

Wir konnten es relativ schnell auflösen und es war dann ein tolles und auch sehr enges Verhältnis. Sie haben verstanden, dass wir wirklich mit einem olympischen Gedanken angereist sind und alles aufsaugen wollten. Deswegen war es mir auch wahnsinnig wichtig, im Olympischen Dorf zu wohnen. Eine besondere Begebenheit war zum Beispiel, dass ich irgendwann in der Mensa war, neben mir auf den Fußboden guckte und dann einen Schuh in Größe 56 neben mir sah.

Als ich nach oben schaute, stand neben mir die damals größte chinesische Basketballspielerin. Ich glaube, sie war 2,23 Meter groß. So etwas erlebst du halt nur bei Olympischen Spielen.

Was bedeutet Dir der Gewinn der olympischen Goldmedaille?

Ich definiere den Erfolg der Goldmedaille heute anders als damals. Hätte man mir 1992 gesagt, du kannst die Goldmedaille gegen einen Wimbledon-Sieg eintauschen, hätte ich sofort „ja“ gesagt. Von der Wertigkeit und mit dem Wissen um die Bedeutung von Olympischen Spielen ist mir heute sehr bewusst, dass es mit das Größte ist, was du im Sport erreichen kannst. Es im Doppel geschafft zu haben und nicht als Einzelsportler, macht den Olympiasieg für mich noch mal besonderer und ich möchte ihn auf keinen Fall missen.

Ich würde den Olympiasieg heute für Nichts mehr eintauschen, die Goldmedaille ist etwas sehr Besonderes in meiner Karriere.

Michael Stich gewann 1992 in Barcelona Olympia-Gold im Doppel gemeinsam mit Boris Becker. (Foto: picture alliance)

Du hast eben angesprochen, dass durch den Kauf der Briefmarken die Athlet:innen unterstützt werden. Wie nimmst Du die Sporthilfe-Förderung wahr?

Die Sporthilfe spielt eine ganz große und wichtige Rolle bei der Unterstützung von Athleten. Ich finde das unglaublich wichtig, denn die Athleten vertreten Deutschland, sie sind ein Aushängeschild unseres Landes. Deshalb würde ich mir wünschen, dass wir uns der Bedeutung des Sports in der Breite, aber auch in der Spitze wieder viel bewusster werden und dort mehr Unterstützung stattfindet, damit sich die Athleten noch mehr auf den Spitzensport einlassen können. Wir gewinnen immer weniger Medaillen bei Olympischen Spielen. Das liegt ja nicht an der Qualität der Athleten, sondern vielleicht eher daran, dass viele Athleten nicht die Möglichkeiten haben, sich voll auf ihren Sport zu konzentrieren.

Die Athleten als ein Aushängeschild unseres Landes sollten besser unterstützt werden.

„courage“: Der frühere Tennis-Star mit seinem Motiv der Briefmarkenserie „Für den Sport“

Wo siehst Du konkret Verbesserungspotential?

Die Frage ist natürlich, was hilft einem Athleten? Helfen ihm 500 Euro im Monat oder müssen es eher 2.000 Euro sein, damit er sich wirklich auf seinen Sport fokussieren kann – für einen doch sehr begrenzten Zeitraum. Es gibt viele Unternehmen, auch Partner der Sporthilfe, die das begleitend machen, die auch Arbeitsstellen anbieten und damit den Athleten unterstützen. Aber ich glaube, da ist immer noch Luft nach oben und man kann noch mehr daran arbeiten. Meiner Meinung nach ist auch die Politik gefordert, mehr Geld in den Sport zu geben und sich der Bedeutung des Sports bewusst zu sein. 

Sport verbindet uns als Gesellschaft. 

Wenn Olympische Spiele stattfinden, sitzen alle vor dem Fernseher und feuern die deutschen Athleten an. Und je mehr Medaillen, umso mehr Emotionen und positive Stimmung wird auch entstehen.

Auch die Politik ist gefordert, mehr Geld in den Sport zu geben

Jetzt stehen die Spiele in Paris an. Du hast immer mal wieder durchblicken lassen, dass Du von der Stadt begeistert bist…

Ich mag das „savoir-vivre“, diese Art des Lebens, die Leichtigkeit, es spielt sich gerade in den Sommermonaten extrem viel draußen ab. Dass dort jetzt die Olympischen Spiele stattfinden, 100 Jahre nachdem sie das letzte Mal in Paris waren, ist natürlich auch ein sehr historischer Moment. Von daher bin ich mir sicher, dass die Franzosen und vor allem auch die Pariser ein großartiges Fest daraus machen können.

Was würdest Du den Athlet:innen raten, was sie in Paris auf jeden Fall mitnehmen sollten?

Ich weiß noch von Barcelona, dass es unglaublich schwer ist, eine Stadt während der Olympischen Spiele kennenzulernen, weil die Spielstätten teilweise so weit voneinander entfernt sind, dass man ewig lange braucht. Der Verkehr bricht meistens sowieso zusammen. Aber: Die Menschen machen die Stadt aus. Ich finde es ganz wichtig, deren Emotionen mitzunehmen. Darauf sollte man sich einlassen und sie aufsaugen, auch wenn man die Sprache vielleicht nicht spricht. Denn diese Emotionen und die Begeisterung werden die Athleten nie wieder in dieser Form bekommen, weil sie nie wieder Olympische Spiele in Paris erleben werden.

Auch die von Dir gestaltete Briefmarke steht unter dem Motto „Faszination der Spiele“. Wie bist Du da herangegangen? 

Da das Motiv mit Olympia zu tun haben sollte, habe ich mir überlegt, was Olympische Spiele für mich bedeuten, auch vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrung, die ich 1992 gesammelt habe. Natürlich sind es die Ringe, ganz klar. Für mich ist es aber zu plastisch, einfach nur Ringe darzustellen, deshalb habe ich mich mit deren Farben auseinandergesetzt. Was drücken diese Farben für mich aus, welche Farben sind in den olympischen Ringen enthalten? Das habe ich dann versucht, in dem Werk umzusetzen, ebenso die Energie, die die Olympischen Spiele vermitteln, das Weltvereinende, das Sportlervereinende. Dies alles in einem Werk zusammenzubringen, war für mich die Herausforderung. Und das, finde ich, ist mir ganz gut gelungen – oder sagen wir es mal so: Ich bin mit dem Werk zufrieden. (lacht)

Du hast das Werk „courage“ genannt, was möchtest Du damit ausdrücken?

Ich glaube, dass wir als Gesellschaft viele Dinge verantworten und auch beeinflussen können. Wir können über die handelnden Personen, egal ob in der Politik, der Wirtschaft, dem Sport, egal wo, wir können über sie meckern. Oder wir können selbst die Initiative ergreifen und uns einbringen. Das erfordert Zeit, Aufwand, Emotionen, Geduld und auch Mut. Es gibt gerade Viele, die für die Demokratie auf die Straße gehen. Ich bewundere diejenigen, die an Demonstrationen teilnehmen. Sie zeigen Courage und kämpfen für das Recht auf Freiheit. Das finde ich toll, denn es schweißt die Gesellschaft auch zusammen. Aber darüber hinaus sollte es wieder mehr um ein Wir-Gefühl gehen, auch in der Politik. Besonders Politiker sollten sich immer bewusst sein, dass sie von uns gewählte Vertreter sind, die die Interessen ihres Volkes zu vertreten haben. Das machen sie sicherlich in vielen Dingen nach bestem Wissen und Gewissen, nur an der Kommunikation könnte man definitiv arbeiten.


Michael Stich gewann in den 1990er Jahren das traditionsreiche Turnier in Wimbledon, wurde Olympiasieger im Doppel sowie ATP-Weltmeister und führte das deutsche Team zum Davis Cup-Sieg. 2015 wurde er dafür in die „Hall of Fame des deutschen Sports“ aufgenommen, 2018 folgte die Aufnahme in die "International Tennis Hall of Fame". Nach seiner aktiven Zeit blieb er dem Tennissport u.a. als TV-Experte sowie als Veranstalter und Turnierdirektor des Traditionsturniers am Hamburger Rothenbaum verbunden, als Unternehmer betätigt er sich als Investor bei diversen Start-up-Unternehmen. Zudem ist Kunst eine seiner großen Leidenschaften, anfangs als Sammler, inzwischen ist er selbst als Künstler tätig. Besonders am Herzen liegt ihm die nach ihm benannte Stiftung, mit der er sich seit nunmehr 30 Jahren für vom HI-Virus betroffene Kinder, Jugendliche und deren Familien einsetzt. 2023 wurde er mit der „Goldenen Sportpyramide“ ausgezeichnet.

 



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