Felix Neureuter im Interview

Felix Neureuter im Interview

Skirennfahrer Felix Neureuther: „Es muss sich dringend etwas ändern“

Felix Neureuther, Deutschlands erfolgreichster Skirennfahrer, hat sich in zwei ARD-TV-Dokumentationen kritisch mit den Olympischen Spielen auseinandergesetzt. Ein Gespräch darüber, wie das Großereignis konzipiert werden müsste um als Zukunftsbooster für das gesamte Land zu wirken, und was er als erstes verändern würde, damit Deutschland wieder erfolgreicher wird.


Felix, Du warst im vergangenen Sommer bei den Spielen in Paris vor Ort. Welche Eindrücke hast Du davon mitgenommen?

Einfach nur positive! Am meisten ist bei mir die Stimmung vor Ort hängen geblieben, die Begeisterung der Menschen für die Spiele und für die Athletinnen und Athleten. Gefühlt hat es nichts Negatives gegeben. Das war einfach dieser positive Vibe, den ich mir von den Spielen so erhofft habe.

Was verbindest Du mit Olympischen Spielen, was machen sie für Dich aus?

Ich will da etwas differenzieren zwischen meiner ganz persönlichen Sicht als Athlet auf der einen Seite und mit Blick auf die Gesellschaft andererseits. Als kleines Kind bin ich natürlich aufgrund meiner Eltern sehr durch die Olympischen Spiele geprägt worden. Für mich war Olympia immer ein Traum, den ich mir erfüllen wollte und letztendlich auch durfte. Einmal dabei zu sein, war für mich eine wahnsinnig große Motivation. Das hat mich persönlich als Mensch sehr positiv geprägt. Darüber hinaus – und jetzt komme ich auf die gesellschaftliche Ebene zu sprechen – können Olympische Spiele zig Millionen Menschen begeistern und emotional packen. Und damit Vorbilder hervorbringen. Die sind so wichtig für unsere Gesellschaft, denn durch diese Vorbilder können elementare Werte in die Gesellschaft getragen werden.

Welche Werte sind das im Speziellen für Dich?

Zum einen natürlich – und das sind ja auch die Werte der Sporthilfe: Leistung, Fairplay und nicht zuletzt ein respektvolles und friedliches Miteinander. Dafür stehen für mich ganz speziell und bespielhaft die olympischen und paralympischen Athletinnen und Athleten. Und das, obwohl sie im Wettkampf Konkurrenten sind. Sie zeigen, dass das olympische Dorf – ein Platz, in dem viele Nationen, unterschiedlichster Herkunft und aus unterschiedlichen Kulturen zusammenkommen – ein Platz des Friedens ist. Dort sind alle gleich, egal, wo sie herkommen. Und das ist für mich ein absolut herausragender Wert in der heutigen Zeit. Darüber hinaus schreiben olympische Momente natürlich ihre ganz eigenen positiven Geschichten, wenn zum Beispiel ein Nobody aus dem hintersten Eck eines Landes plötzlich auf der olympischen Bühne steht und zeigt, was alles möglich ist. Das kann doch gerade unserer Jugend Zuversicht geben. Vor allem dann, wenn er oder sie die Freude am Sport nach außen trägt. Ich glaube, dass es in Zeiten der Digitalisierung wahnsinnig wichtig ist, Kinder für etwas zu motivieren und zu begeistern, das mit Bewegung und Sport zu tun hat.

Und dennoch standen Olympische Spiele in den vergangenen Jahren immer wieder auch in der Kritik…

Ich kann von mir behaupten, dass ich ein kritischer Geist bin, wenn ich das Gefühl habe, dass etwas nicht mehr im Sinne der Athletinnen und der Athleten und des Sports geschieht. Man muss aufpassen, dass man vor lauter „höher, schneller, weiter“ niemals die Grundwerte der olympischen Idee vergisst. Die Werte sind es, die Olympia groß gemacht haben. Wenn die Spiele aber dafür hergenommen werden, um möglichst viel Geld zu generieren und es nicht mehr um den Sport geht, dann habe ich ehrlich gesagt ein Problem damit. Das war in der Vergangenheit leider des Öfteren der Fall. Aber nicht in Paris, dort stand der Sport im Mittelpunkt. Frankreich hat gezeigt, wie man Spiele durchführen kann. Die Spiele haben begeistert und den olympischen Geist wiederbelebt.

Hat das bei Dir auch Lust auf Spiele in Deutschland geweckt?

Total! Das hat mir große Hoffnungen gemacht auf Spiele im eigenen Land, sehr große Hoffnung! Denn ich glaube, dass wir in Zeiten wie diesen dringend ein solches Großereignis benötigen, um wieder Motivation zu schöpfen, vor allem für die Jüngsten. Um wieder Begeisterung zu entfachen und auch Optimismus, dass nicht alles so schlecht ist, was wir in unserem Land machen; dass wir mal wieder zeigen können, dass wir in Deutschland Dinge sehr gut umsetzen können und, als Land der Dichter und Denker, auch so ein Großereignis nicht nur rein sportlich, sondern auch kulturell nach vorne bringen können. Dann kann das ganze Land davon profitieren.

Wie kann das funktionieren?

Elementar wäre, dass die Spiele richtig konzipiert werden. Man darf nicht nur sagen: „Okay, das machen wir jetzt“, sondern das sollte schon eine größere Tragweite haben. 

Olympia könnte nicht nur dem Sport, sondern Vordenkern, Kunstschaffenden und anderen kreativen Köpfen eine Bühne schaffen. So ein friedliches Sportgroßereignis, auf das wir alle gemeinsam hinarbeiten, könnte gerade der jüngeren Generation Hoffnung und Motivation geben. 

Wir könnten die Infrastruktur ausbauen, von der noch Generationen später profitieren können. München ist das beste Beispiel dafür. Und, was mir ganz wichtig ist: Wir könnten das Bildungssystem verändern, denn Sport und Bewegung sind die Grundlage eines jeden Menschen.

Felix Neureuther, fünfmaliger Medaillengewinner bei Weltmeisterschaften, gehörte zur absoluten Weltspitze im Slalom (Foto: picture alliance)

Wenn du gesund sein willst, musst du dich bewegen und Sport machen. Das muss die Politik kapieren und hier etwas ändern, damit unsere Kinder gesund in die Zukunft geschickt werden können. Aber dafür muss der Stellenwert des Sports im Allgemeinen eine viel größere Bedeutung bekommen, als es momentan der Fall ist. Und das können Olympische Spiele schaffen.

Ein großes Thema rund um Olympische Spiele ist auch die Nachhaltigkeit. Nach Sotchi, Pyeongchang und Peking haben sich viele gefreut, dass die Winterspiele 2026 wieder in die Alpen und damit „nach Hause“ kommen…

Es gab das Versprechen, dass für die Spiele in Mailand und Cortina d’Ampezzo keine großen Bauten entstehen müssen, da die Sportstätten schon vorhanden wären. Ich habe mir ein Bild vor Ort gemacht (zu sehen in der ARD-Dokumentation „Spiel mit den Alpen“; Anmerk. der Redaktion): Wir brauchen uns nichts vorzumachen. Es ist dort leider nicht so umgesetzt worden. Es wird eine neue Bob- und Schlittenbahn geben. Es steht dort ein voll intaktes Stadion und es wird trotzdem für 50 Mio. Euro um- und ausgebaut, in einer Dimension, bei der du genau weißt, das wird später nie wieder so genutzt oder gar bewirtschaftet werden. Und das Ganze in einem Naturschutzgebiet! Fehler, die 2006 bei den Spielen in Turin gemacht wurden, wiederholen sich, das ist erschreckend. In der Bevölkerung kommt das natürlich alles andere als gut an, da ist viel Vertrauen verspielt worden. Womit wir wieder bei der richtigen Konzeption von Spielen sind: Die Bevölkerung muss voll dahinterstehen, nur so wirst du bei ihnen die Begeisterung entfachen.

Wie wird sich das auf die Spiele 2026 auswirken?

Letzten Endes sind es immer die Emotionen, die die Spiele ausmachen. Es ist die Begeisterung vor allem von den Zuschauerinnen und Zuschauern, die sich eins zu eins auf die Athletinnen und Athleten überträgt. Und wenn du es nicht schaffst, die Zuschauer zu begeistern, dann wirst du auch nicht die Athleten begeistern können. Aber ich lass mich gerne positiv überraschen, auch davon, wie die Nutzung der Sportanlagen im Nachgang aussehen wird – obwohl ich es mir gerade nur schwer positiv vorstellen kann.

Die Begeisterung der Bevölkerung geht meist auch einher mit den Erfolgen der eigenen Athlet:innen. Zumindest wenn man auf den Sommersport schaut, gehen diese in Deutschland kontinuierlich zurück. Warum?

Da steckt ein ganz klarer Grund dahinter: Unser System hat sich in den letzten Jahren nicht so angepasst, dass wir erfolgreich sein können. Das ist nicht die Schuld der Athletinnen und Athleten, sondern die der Menschen hinter dem System. Sie sind letzten Endes daran schuld, dass wir so dastehen, wie wir gerade dastehen. Dass wir eben nicht mehr so viele Medaillen gewinnen, wie noch vor zehn, 20 oder 30 Jahren. Aber auch hier bietet eine Bewerbung für Olympische Spiele die Möglichkeit, das System grundlegend zu verändern, dass wir wieder leistungsorientierter denken in unserer Gesellschaft. Auch deswegen braucht es so einen großen Anstoß wie die Spiele. Es muss sich ganz dringend etwas verändern, sonst werden wir in Zukunft auch keine größeren Erfolge haben.

Seit 2019 ist der Ski-Star für die ARD im Einsatz (Foto: picture alliance)

Wenn Du etwas zu entscheiden hättest, was würdest Du als erstes ändern?

Ich würde zuerst mal komplett unser System aufbrechen – und deswegen habe ich wahrscheinlich niemals eine Chance an Positionen zu kommen, wo ich was entscheiden könnte. Aber ich denke, wir haben ein viel zu großes, aufgeblähtes System, das so viele Gelder verschlingt, die wir so gut in anderen Bereichen einsetzen könnten. 

Und ich würde als allererstes den DOSB wieder in einen DSB und das NOK trennen, um den Breitensport vom Spitzensport zu separieren.

Wir brauchen natürlich die Breitensportförderung, aber wir brauchen noch viel dringender die Leistungssportförderung. Das wäre das Erste, was ich machen würde.

Konkurrieren Breiten- und Spitzensport miteinander?

Breitensport- und Spitzensportförderung haben per se erstmal nichts miteinander zu tun, aber sie können sich wunderbar gegenseitig befruchten. Aus der Breite kann ein wunderbares Fundament für die Spitze entstehen. Aber das beste Fundament hilft nichts, wenn wir in der Gesellschaft nicht auch gezielt wieder die Bereitschaft für Eliten wecken. Dafür wären Olympische Spiele in ihrer Vielfalt für unser Land ideal geeignet. Nichts kann Breitensport besser antreiben als erfolgreicher Spitzensport. Wir müssen nur mal in die Vergangenheit schauen, welche Sogwirkungen so grandiose Sportler wie ein Muhammad Ali, ein Michael Jordan, Tiger Woods, Boris Becker und Steffi Graf oder auch meine Mutter auf die Gesellschaft ausgeübt haben. Sie sind alle Vorbilder. Und ich wiederhole mich gerne: Sie sind so wichtig für Kinder und Jugendliche. Diese Vorbilder haben eine riesengroße Wirkung auch auf den Breitensport und damit gleichzeitig auf das Gesundheitssystem einer ganzen Gesellschaft.

Was entgegnest Du Kritiker:innen, die argumentieren, dass alle Vorbilder nichts nutzen, wenn keine Turnhallen oder Schwimmbäder zur Verfügung stehen?

Natürlich kann ich das Argument in gewisser Weise nachvollziehen. Für mich darf es aber darin keine Trennung geben. Und genau deswegen musst du das Konzept so gestalten, dass du durch die Olympischen Spiele viele Gelder generierst, die auch den Breitensport erfassen. Und wie gesagt, wenn du das richtige Konzept hast, dann ist das sehr wohl möglich. Es passt nicht, Milliarden von Steuergeldern nur für ein einziges Olympisches Highlight auszugeben, es geht um einen gesamtgesellschaftlichen Ruck, der langfristig Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit unserer Jugend hat. Mein Olympischer Blick auf Deutschland sagt mir, dass wir im Grunde nicht viel Geld für Sportstätten ausgeben müssen und dafür mehr in Infrastrukturmaßnahmen investieren können, die allen zugutekommen. Ich bin dafür, dass Deutschland mit den kreativsten Köpfen aller Gesellschaftsschichten eine Olympiabewerbung auf die Beine stellt, in der sich die große Mehrheit der Deutschen wiederfindet. Als Zukunftsbooster für unsere gesamte Gesellschaft.

Wärst Du bereit, daran mitzuarbeiten?

Wenn ich gefragt werde und ich das Gefühl habe, dass ehemalige Athletinnen und Athleten mit eingebunden werden und wir gemeinsam an einem Konzept arbeiten, zusammen mit anderen tollen Menschen aus der Wirtschaft, aus der Kultur, dann wäre ich bereit.


Erschienen im Sporthilfe Magazin

Zur aktuellen Ausgabe (02.2024)


Foto: picture alliance

Zur Person

Felix Neureuther, Jahrgang 1984, ist mit fünf WM-Medaillen, davon einmal Gold, einmal Silber und dreimal Bronze, sowie 13 Weltcupsiegen der erfolgreichste deutsche Skirennläufer. 2019 beendete der Sohn von Rosi und Christian Neureuther seine aktive Karriere. Von der Sporthilfe wurde er insgesamt 13 Jahre lang gefördert. Seit der Wintersaison 2019/20 ist er als ARD-Sportexperte tätig und kommentiert die alpinen Ski-Wettbewerbe. Darüber hinaus drehte er die IOC-kritische Dokumentation „Spiel mit dem Feuer – Wer braucht noch dieses Olympia?“ (2022) sowie „Spiel mit den Alpen“ (2024). Seine 2020 nach ihm benannte Stiftung hat das Ziel, Bewegung und Gesundheit vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu fördern sowie die Vermittlung von Werten und Bewusstsein für Menschlichkeit, Nachhaltigkeit, Natur und Familie.



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