Wenn Sportklettern 2020 in Tokio erstmals olympisch wird, will Sebastian Halenke mit von der Partie sein. Der Schwabe ist ein aussichtsreicher Kandidat für das olympische Debüt seiner Sportart – und zudem nicht nur optisch ein interessanter Charakter.
Geht es um seine knüppeldicken Finger, muss Sebastian Halenke häufig selbst ein wenig schmunzeln. Von "meinen fetten Klumbatschen" spricht er dann liebevoll und kann herzhaft lachen über die doch außergewöhnliche Optik seiner gewaltigen Pranken. Im Endeffekt aber sind Halenkes Hände schlicht das wohl eindrucksvollste Zeugnis jener Sportart, der er sein Leben verschrieben hat – und zugleich ein zentraler Baustein seines Erfolgs.
Denn Halenke ist Kletterer, Sportkletterer um genau zu sein. Im Lead- also im Routenklettern, wo viel Kraft bis in die Fingerkuppen absolut unerlässlich ist, gehört er zur absoluten Weltspitze. Und weil Klettern 2020 in Tokio zumindest vorrübergehend ins olympische Programm aufgenommen wird, ist Halenke plötzlich auch ein Kandidat für die deutsche Olympia-Mannschaft. "Die Chancen stehen definitiv nicht schlecht", sagt er: "Aber man muss erstmal abwarten, wie sich das überhaupt entwickelt."
Das Problem für Halenke und seine Kollegen ist, dass fürs olympische Debüt ihrer Sportart ein völlig neues Wettkampfformat geschaffen wurde. In Japan messen sich die Teilnehmer in einem Dreikampf bestehend aus den Teildisziplinen Speed-Klettern, Lead-Klettern und Bouldern. "Diesen Allrounder-Typ gibt es bislang gar nicht", erklärt Halenke: "Olympia ist ein Schaufenster für unseren Sport. Auf Dauer wollen wir aber schon mit den Einzeldisziplinen ins Programm."
Wer letztlich mit dem neuen Modus am besten zurechtkommt und sich für Tokio qualifizieren kann, steht also derzeit noch in den Sternen. Klar ist jedoch, dass Halenke zumindest gute Voraussetzungen für eine gelungene Umstellung mitbringt. Und das nicht nur, weil er als Lead-Spezialist den Boulderern oder den Speed-Kletterern im Kraft-Ausdauer-Bereich überlegen scheint. Vor allem mental wirkt der junge Mann mit den kräftigen Unterarmen und dem markanten Irokesenschnitt bereit für die neue Herausforderung.
Halenke bezeichnet sich selbst als "absoluten Perfektionisten", als "langsam-und-gründlich-Denker", als einen, der seinen "ganz eigenen Weg" geht. Hängt er gerade nicht in der Kletter- oder Felswand, entspannt er gerne in der Natur oder liest Bücher, etwa über Philosophie, Meditation und Ernährung. "Klettern ist nicht nur physisch sondern auch geistig fordernd", sagt er: "Das liebe ich so daran." Ein nachdenklicher, reflektierter und zugleich unheimlich zielstrebiger Geist.
Im Alter von acht Jahren kletterte Halenke erstmals an einem Felsen, nahm mit zwölf eher zufällig an einem Jugendturnier teil und war fortan infiziert mit dem Virus des Wettkampf-Kletterns. Dass der Schwabe außergewöhnliches Talent besitzt, wurde dabei schnell deutlich. Halenke wurde deutscher Jugendmeister, dreimal Juniorenweltmeister und schließlich auch bei den Männern Deutscher Meister. Im Dezember 2016 gewann er dann seinen ersten Weltcup – sein endgültiger Durchbruch in die Weltklasse.
Schon Halenkes Vater war einst Leistungssportler, wurde als Leichtathlet auf Mittel- und Langstrecke insgesamt viermal DDR-Meister. Für Sohn Sebastian ist er heute die wichtigste Bezugsperson hinsichtlich seiner Sportlerkarriere. Nach jeder Trainingseinheit telefonieren die beiden miteinander, auch die Planung und Belastungssteuerung geschieht in enger Abstimmung. "Ich habe einen unkonventionellen Weg eingeschlagen", sagt Halenke junior: "Das geht nur, weil meine Eltern mich zu 100 Prozent unterstützen."
Halenkes Leben ist inzwischen voll auf das Klettern ausgerichtet. Er ist Profi, lebt von der Unterstützung der Deutschen Sporthilfe sowie von Sponsoreneinnahmen und Preisgeldern. An seinem Wohnort in Lahr am Rande des Schwarzwalds hat er die Garage zu seiner persönlichen Kletterhalle umgebaut, wo er täglich bis zu fünf Stunden trainiert. An der Zugkraft in seinen Fingern arbeitet er zudem mit 40-Kilo-Hanteln. So rollt er mal eben das Gewicht von drei vollen Bierkisten über seine Fingerkuppen.
Den Rest des Jahres tourt Halenke für Wettkämpfe durch die ganze Welt. "Als Kletterer ist man immer auch Reisesportler", bemerkt er schmunzelnd. Allein schon für die Trainingseinheiten in verschiedenen Kletterhallen und Felsengebieten ist er jede Woche unzählige Stunden mit dem Auto unterwegs. Und wer weiß: Vielleicht führt ihn seine Reise ja sogar 2020 in Richtung Tokio.
(Veröffentlicht am 26. Juni 2017)
Geboren: 24. März 1995
Disziplinen: Lead-Klettern, Bouldern, Speed-Klettern
Größte Erfolge:
Sporthilfe-gefördert seit Anfang 2016
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Speed-Klettern
Im Geschwindigkeitsklettern geht es darum, eine relativ einfache Route zu in möglichst kurzer Zeit zu absolvieren. Dafür braucht man vor allem Kraft und Schnelligkeit. Speed-Kletterer sind so etwas wie die 100-m-Sprinter unter den Kletterer.
Bouldern
Bouldern ist das Klettern ohne Sicherung an Wänden in Absprunghöhe (d. h. bis zu einer Höhe, aus der ohne Verletzungsgefahr abgesprungen werden kann). Der Kurs ist recht kurz, aber dafür umso schwerer zu absolvieren. Auch hier geht es auf Zeit.
Lead-Klettern
Das Lead-Klettern ist so etwas wie die Königsdisziplin im Sportklettern. Die Athleten müssen dabei anspruchsvolle Routen bis in eine Höhe von 20 Meter bewältigen, unter Beachtung eines Zeitlimits. Bewertet wird wie weit ein Kletterer auf der Route kommt.