Boxerin Nadine Apetz: Alles Kopfsache

Nadine Apetz landet im Ring Kopftreffer und forscht parallel an der Universität zu Erkrankungen des Gehirns – nur scheinbar ein Widerspruch im Leben einer erfolgreichen deutschen Boxerin, die 2020 vor ihrem großen Ziel steht: den Olympischen Spielen.


Wer die beste deutsche Boxerin der vergangenen Jahre besuchen möchte, den führt wortwörtlich kein Weg an Olympia vorbei. Nadine Apetz trainiert beim SC Colonia 06 Köln, dem ältesten Boxclub Deutschlands und einst die sportliche Heimat von Boxlegende Max Schmeling. Im Schatten der Deutschen Sporthochschule und des Stadions des 1. FC Köln liegt die Halle im Stadtteil Müngersdorf. Die symbolträchtige Adresse: Olympiaweg 7. Dort sitzt Apetz auf einer Bank neben dem Ring und wartet, bis ihr erstes Training nach rund vier Wochen Pause beginnt. Zwischendurch stand die Weltmeisterschaft in Sibirien an, danach dringend benötigter Erholungsurlaub in Holland. Die 33-Jährige ist viel unterwegs, nur einmal war sie dieses Jahr vier Wochen am Stück in ihrer Wahlheimat Köln. Dort sind wie fast immer auch heute wieder alle anderen Boxer im Training männlich. „Einfach, weil in meiner Gewichtsklasse und bei meinem Leistungsstand sonst keine Frau da ist. Ab und zu ist das schon ein bisschen frustrierend“, sagt Apetz und zuckt mit den Schultern. In ihrer Gewichtsklasse, dem Weltergewicht bis 69 Kilogramm, ist sie national konkurrenzlos.

Nadine Apetz - Boxen
Fokus auf Olympia: Nadine Apetz sieht gute Chancen sich für Tokio 2020 zu qualifizieren (Foto: Deutsche Sporthilfe)

Bevor ihr Trainer Lukas Wilaschek, 2004 selbst Olympiateilnehmer und danach Profi im Supermittelgewicht, zum Aufwärmen ruft, trudelt noch ein Nachzügler ein. Der Junge geht von Athlet zu Athlet und gibt allen die Hand. Bei Apetz, dem Aushängeschild des Clubs, murmelt er im Vorbeigehen einen Glückwunsch. Sie runzelt die Stirn, fragt „Wieso?“, ehe es Klick macht und sie lachen muss: „Ach so. Nee, diesmal nicht.“ Was dem Nachwuchsboxer entgangen sein muss: Von der WM Mitte Oktober ist Apetz diesmal ausnahmsweise mit leeren Händen zurückgekehrt, nach Bronze 2016 – der ersten WM-Medaille einer deutschen Frau überhaupt – und noch einmal Rang drei 2018. Eine kleine Episode am Rande, die zeigt: Die Erwartungshaltungen an Nadine Apetz sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Dabei ist die studierte Biologin und Neurowissenschaftlerin eine Spätstarterin. Erst mit 21 Jahren kam sie als Studentin über eine Box-AG an der Uni Bremen zu dem Sport, den sie früher mit ihren Eltern im Fernsehen verfolgt hatte. Apetz fand Spaß am Boxen, machte schnell Fortschritte, der Leistungsgedanke stand zu Beginn ihrer Karriere allerdings nicht im Fokus. „Ich hatte nie den Plan, groß rauszukommen. Dass ich dann immer besser und besser wurde, war eigentlich nur ein Nebeneffekt“, sagt sie.

Fast drei Jahre verbrachte sie anschließend in Australien, stieg dort auch mal als verkappte Kickboxerin in den Ring, um Erfahrungen zu sammeln. Richtig durch startete sie dann nach dem Wechsel nach Köln 2014. Sechs deutsche Meistertitel sammelte sie bisher, dazu kommen die beiden WM-Medaillen, je einmal Bronze bei der EM und den European Games sowie Gold bei den EU-Meisterschaften. Die fünf internationalen Medaillen hat sie zuhause an die Wand gehängt:

„Meine Medaillen sind für mich ein Zeichen dafür, wie stark ich sein kann, wenn alles passt. Ich führe mir so selbst vor Augen, was ich zu leisten im Stande bin.“

Sich selbst zuzugestehen, wo ihre Talente liegen, damit habe sie oft Schwierigkeiten. „Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, das sind im Wettkampf nicht unbedingt meine größten Stärken.“

 

Dass sich Nadine Apetz heute überhaupt noch Gedanken über ihre Stärken und Schwächen im Ring macht, schien vor knapp vier Jahren ausgeschlossen. Eigentlich hatte sie ihre Karriere 2016 schon fast beendet, nachdem sie als amtierende WM-Dritte im damals noch nicht-olympischen Weltergewicht eben auch nicht mit zu den Olympischen Spielen nach Rio de Janeiro fahren durfte. „Das war schon sehr frustrierend“, sagt sie rückblickend. „Ich hatte das Gefühl, dass es eine zweitklassige Medaille war, weil sie nicht zum gleichen Ergebnis führte wie in anderen Gewichtsklassen.“ Doch Anfang 2017 trat der Sinneswandel ein, als sich immer mehr verdichtete: In Tokio wird die Zahl der Gewichtsklassen bei den Frauen von drei auf fünf erhöht, gleichzeitig bei den Herren um zwei auf nun acht reduziert. Apetz ließ sich überzeugen, noch einmal vier Jahre dranzuhängen. „Es gibt ja viele Sportler die sagen: Olympia war schon immer mein größter Traum. Das war bei mir wegen verschiedener Umstände anders, aber natürlich ist Olympia jetzt mein allergrößtes Ziel. Und es würde mir alles bedeuten, wenn ich meine Karriere mit Olympischen Spielen krönen könnte.“ Dafür hat sie sogar ihre zweite Passion zurückgestellt. Eigentlich wollte Apetz „erwachsen werden und meine Doktorarbeit fertigstellen“, doch die Wissenschaft läuft aktuell nur nebenher:

Nadine Apetz - Boxen
Bei der WM in Neu-Delhi gewann Apetz (hier in rot) 2018 die Bronze-Medaille (Foto: picture alliance)

„Für mich ist die Promotion ein Ausgleich zum Sport. Da wird man ganz anders gefordert, nicht nur körperlich, sondern auch auf einem geistigen Level.“

Die angehende Dr. rer. nat. forscht an der Kölner Uniklinik zu Erkrankungen des Gehirns und möglichen Therapien. Eine promovierende Boxerin? Klar, wieso nicht. „Viele Menschen sehen darin etwas Paradoxes. Dass ich einerseits auf Köpfe haue, aber andererseits wissen will, wie Krankheitsbilder entstehen, die gerade das Gehirn betreffen.“ In ihrem Büro, das sie sich mit anderen Doktoranden teilt, hängt ein weißer Laborkittel, eine Sicherheitsbrille liegt stets bereit, am Türschild steht „Institut für Radiochemie und experimentelle molekulare Bildgebung“. Das bedeutet also: Wer nicht nur die erfolgreiche Boxerin, sondern auch die ambitionierte Wissenschaftlerin besuchen will, muss schon einmal eine halbstündige Sicherheitsunterweisung der Strahlenschutzbeauftragten über sich ergehen lassen. Wenn sie über ihre Doktorarbeit spricht, sagt Apetz übrigens einen nicht nur für Wissenschaftler bemerkenswerten Satz: „Warum rumlabern, wenn man es auch auf den Punkt bringen kann?“

Nadine Apetz - Boxen
Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und „ein gewisses Maß an Perfektionismus“: die Stärken der Nadine Apetz (Foto: OSP NRW/Rheinland)

Er hat genauso Gültigkeit für ihr Auftreten im Sport, innerhalb und außerhalb des circa 36 Quadratmeter großen Boxrings. Apetz, seit 2018 Athletensprecherin ihres Verbandes, ist eine Freundin klarer Worte, engagiert sich in der Sportpolitik, prangert Missstände an und bekämpft Vorurteile. Es nerve sie etwa sehr, wenn Leute den Boxsport auf eine Klopperei reduzieren, denn das werde dem vielseitigen und anspruchsvollen Sport nicht gerecht. „Als wären wir Zeitbomben, die bei jedem falschen Wort direkt zuschlagen.“ Die Fäuste lässt sie freilich nur im Training und im Wettkampf sprechen, wenn ihr Coach Wilaschek, wie jetzt gerade wieder einmal, eine Pratze hinhält. Nach der Comeback-Einheit ist Apetz gut aus der Puste. „Lange her“, stöhnt sie und lächelt dabei. Es fühlt sich auch gut an, wieder zurück im Training zu sein, mit dem Ziel Olympia vor Augen. Wenn sie sich nicht verletzen sollte, stehen die Chancen für die Qualifikation bestens. Oder wie sie es selbst formuliert: „Wenn ich die Leistung der letzten Jahre sehe, ist das ein realistisches Ziel.“ Und danach, mit dann 34 Jahren? Soll nicht zwangsläufig sofort Schluss sein. Eine WM noch, vielleicht noch einmal auf dem Podium. Vielleicht dann sogar als Dr. Nadine Apetz.

(Veröffentlicht am 11.12.2019)


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