Andreas Toba: Stehaufturner

Trotz seiner schweren Knieverletzung wurde Turner Andreas Toba bei den Olympischen Spielen 2016 zum „Hero de Janeiro“, als Held sieht er sich selbst aber nicht. Stattdessen will er nächstes Jahr in Tokio eine offene Rechnung mit Olympia begleichen.


Andreas Toba ist unzufrieden. Am Reck hat er die Kombination, die im Wettkampf ein paar Zehntelpunkte mehr bringen soll, noch kein einziges Mal zu Ende turnen können. Oft fehlen nach der ersten Schraube nur Zentimeter zum erfolgreichen Griff an die Stange. Wie knapp es manchmal ist, kann er auf dem Tablet nachschauen, von dem das Training in der Turnhalle des Olympiastützpunkts Hannover mit einer halben Minute Zeitverzögerung aufgezeichnet wird. Meist steht Toba aber so schnell wieder bei der Videoanalyse, dass auf dem Display noch nicht einmal sein Aufgang zu sehen ist. 48 Stunden nach den vielen Fehlgriffen postet der vielleicht konstanteste und vielseitigste deutsche Turner der vergangenen zehn Jahre bei Instagram dann ein Video, in dem er die komplette Übung in Perfektion durchturnt. Begleittext:

„Liebe Leute, nach unzähligen Versuchen habe ich es heute endlich geschafft. Notiz an mich: Noch mehr arbeiten!“

Fleiß, Disziplin und Ehrgeiz zeichnen Andreas Toba aus (Foto: Deutsche Sporthilfe)

Die Reck-Episode steht exemplarisch für das, was den 29-Jährigen seit Jahren auszeichnet. Sie ist gewissermaßen „Andreas Toba in a nutshell“. Er selbst sagt, er sei nicht mit dem allergrößten Talent gesegnet. Seine Erfolge, die großen wie die kleinen, erarbeitet er sich mit seinem unbändigen Ehrgeiz, mit akribischem Training und eiserner Disziplin – manches Mal auch über die Grenzen hinaus. Denn auch das ist Andreas Toba: Keine Woche nach der Erfolgsmeldung auf Instagram sieht man ihn dort mit Fuß-Orthese auf Krücken vor dem olympischen Trainingszentrum in Kienbaum stehen, das langersehnte Trainingslager musste er mit einem Syndesmosebandriss vorzeitig abbrechen. Die Pandemie-bedingt ohnehin verkürzte Saison ist für ihn damit womöglich schon wieder so gut wie beendet. „Das war nicht das, was ich mir für einen Neustart nach der Corona-Pause gewünscht hatte“, sagt Andreas Toba, den alle nur Andy rufen. Er wird auch von dieser Verletzung wieder zurückkommen, er hat in seiner Karriere schon Schlimmeres überstanden.

Der Tag, der Tobas Karriere veränderte: Fabian Hambüchen hilft dem verletzten Teamkollegen beim Abgang von der olympischen Bühne (Foto: picture alliance)

Etwa den Moment vor vier Jahren, der sein Sportlerleben, wenn nicht sogar seine Persönlichkeit geprägt hat wie kein zweiter. Beim olympischen Vorkampf in Rio verletzte sich Toba beim Bodenturnen schwer, bei einer Landung riss ihm das Kreuzband. Um seine Teamkollegen aber nicht um ihre Chance auf das Mannschaftsfinale zu bringen, quälte er sich ans Pauschenpferd und schloss die Übung mit der höchsten Wertung im deutschen Quartett ab. Es reichte für das Team zum Finaleinzug – für Toba waren die Spiele beendet. Die Medien tauften ihn „Hero de Janeiro“, doch als Held fühlt sich Toba „auf gar keinen Fall“. Stattdessen trauert er der vergebenen Chance nach, auf der größten Bühne überhaupt seine beste Leistung abzurufen. Vor Rio hatte er bei der Deutschen Meisterschaft den Mehrkampf dominiert, sogar den großen Fabian Hambüchen geschlagen und sich in der Form seines Lebens gewähnt. Bis zur zweiten Bahn am Boden und dem Ende aller Rio-Träume. Toba gewann zwar Fairness- und Sonderpreise, aber eben keine Medaille. Auf den Kreuzbandriss folgten drei Operationen und Anfang 2018 erneut eine Knieverletzung mit wochenlanger Zwangspause.


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Andreas Toba: Der Stehaufturner

Trotz seiner schweren Knieverletzung wurde Turner Andreas Toba bei den Olympischen Spielen 2016 zum „Hero de Janeiro“, als Held sieht er sich aber nicht. Stattdessen will er nächstes Jahr in Tokio eine offene Rechnung mit Olympia begleichen. Wir haben Andy einen Tag lang in Hannover begleitet und einen kleinen Einblick in sein Leben bekommen.


Immer kämpfte er sich zurück, vorerst gekrönt mit dem erneuten, zweiten Gewinn der deutschen Mehrkampfmeisterschaft 2019. Auch wenn ihm ein echtes Ausreißer-Gerät fehlt – er sei „schon immer der gewesen, der alles konnte, aber nichts richtig gut“ –, galt er mit seiner Vielseitigkeit für den olympischen Mehrkampf in Tokio als gesetzt. Dann kam Corona und machte dem Plan einen Strich durch die Rechnung. Toba geht es nicht primär um Medaillen. Er will zeigen, was er zu leisten im Stande ist, mit dann 30 Jahren, denn „mit Olympia habe ich noch eine Rechnung offen“. Der gebürtige Rumäne kam Ende der 1980er Jahre nach Deutschland und erturnte 1994 für seine neue Heimat EM-Bronze. Die familiäre Prägung ist der Grund, warum Andreas mit dem Sport anfing – Turnhallenluft atmete er bereits als Kleinkind, mit fünf Jahren kam er in seine erste Trainingsgruppe. „Es war ein fließender Übergang vom Spaß zum Ernst“, sagt Toba der Jüngere. Zwar begeistert er sich auch für Fußball und Tennis, eine andere Sportart auszuüben als „die, die ich am meisten liebe“, stand aber nie ernsthaft zur Debatte. Seit 25 Jahren, 15 davon Sporthilfe-gefördert, bestimmt das Turnen nunmehr sein Leben, Familie und Freunde nehmen zwangsläufig Rücksicht. Auch sein bester Kumpel Murat, früher selbst Leistungsturner.

Mit ihm betrieb Toba in Hannover sogar kurzzeitig ein Café. Inzwischen verlässt er sich aber wieder auf seine Rolle vor dem Tresen und auf die des akribischen Arbeiters in der Turnhalle. Das gemeinsame Café hieß übrigens „Hero‘s“. Und damit noch einmal zurück zu den Spielen von Rio 2016. Toba weiß, dass er in der Öffentlichkeit immer mit der Rolle des tragischen Helden assoziiert werden wird.

„Viele können mit ‚Hero de Janeiro‘ mehr anfangen als mit dem Namen Andreas Toba. Das ist aber vollkommen okay und gibt mir gewisse Freiheiten.“

Der "Hero de Janeiro" blickt positiv in Richtung Tokio (Foto: picture alliance)

Er hat Sport auf Lehramt sowie Sportmanagement studiert und weiß sehr genau, wie die Vermarktung von Sportarten jenseits der großen Öffentlichkeit funktioniert. Der Rummel um seine Person hat ihn bekannt gemacht. Die Talkshow-Auftritte, sicherlich der Bambi, den er 2016 gewann; auch die Einladung ehrenhalber zum Sporthilfe Club der Besten, damals noch Champion des Jahres. Am liebsten aber will er mit seinen sportlichen Leistungen glänzen. In einem knappen Jahr in Tokio, und anschließend natürlich gerne in der Sonne beim „Sporthilfe Club der Besten“ 2021, zu dem alle deutschen Medaillengewinner der Olympischen Spiele von Tokio eingeladen werden. Es wäre die Krönung der fantastischen Reise des Stehaufturners Andreas Toba.

(Veröffentlicht am 5. November 2020)

Erschienen im Sporthilfe-Magazin go!d - Zur kompletten Ausgabe (3/2020)



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