Unter der Projektmarke „Our House“ hat die Deutsche Sporthilfe erstmals nicht-olympische Szene-Sportler aus den Bereichen BMX Street, Wakeboarden und Parkour in die Förderung aufgenommen und reagiert damit auf ein verändertes Sporttreiben parallel zum olympischen Sport.
Die Fahrer zweier Lieferwägen hupen ungeduldig, weil das Team die Straße blockiert, um die Auslaufzone freizuhalten. Felix Prangenberg steht unter Zeitdruck. Eigentlich keine gute Voraussetzung für den riskanten Trick, den er sich auf dem mallorquinischen Platz vorgenommen hat. Mit seinem BMX will er mit einer 360-Grad-Drehung von einer gut drei Meter hohen Mauer und über einen Brunnenrand hinwegspringen. Selbst der erfahrene Filmer Markus Wilke, seit den 90er-Jahren im Geschäft, wirkt angespannt ob des Risikos.
Eines, das sich für Felix Prangenberg zu lohnen scheint. Denn Tricks auf einem solchen Niveau haben das Potential, Highlight eines Actionsport-Videos zu werden, das zigtausendfach im Netz geklickt und geliked wird. Dafür lebt Felix Prangenberg, der bereits als Zweijähriger auf dem Fahrrad saß und heute zu den Besten BMXern der Welt gehört. Sein ganzes Leben, so sagt er, habe sich schon immer ums Radfahren gedreht. Nur nach dem Realschulabschluss hat er „aus Vernunftgründen“ eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann begonnen, was „nach hinten losgegangen ist“, weil er keine Zeit mehr zum Fahren hatte. „Das hat mich psychisch ziemlich fertiggemacht, weil ich ohne BMX nicht sein kann.“ Die Lehre hat er abgebrochen, seitdem lebt er seinen Traum als BMX-Profi. Mit Preisgeldern auf Contests und mit Sponsoren, die er über die sozialen Medien präsentiert, finanziert er sein Leben. Über 91.000 Follower weist sein Instagram-Account aus, der 21-Jährige ist ein Star der Szene. Fast überall, wo er auf der Welt unterwegs ist, wollen Fans Fotos mit ihm machen, täglich bekommt er unzählige Nachrichten über Instagram. Dass er ein Vorbild ist, findet Felix Prangenberg „ganz schön verrückt“. Besonders aber freut ihn, dass er Menschen zum Fahrradfahren inspiriere.
„Wenn sie mir schreiben: ‚Du bist der Grund, weshalb ich Rad fahre und weiterhin versuche, neue Tricks zu lernen‘, dann ist das schon verdammt cool.“
Der BMX-Star aus Westfalen verkörpert damit den Dreiklang von Respekt, Inspiration und Leistung der neu gegründeten Projektmarke „Our House“. Unter dem Dach der Sporthilfe wurden erstmals Athleten aus sogenannten informellen Actionsportarten – die sich noch nicht oder nur in Ansätzen in Vereinen und Verbänden organisiert haben – in die Förderung aufgenommen.
Die Sporthilfe reagiert damit auf das veränderte Sporttreiben und Sport-Erleben, das sich in den letzten Jahren durch Urbanisierung und Individualisierung parallel zum olympischen Sport entwickelt hat. In den Szenen sind Vorbilder und Wertevermittler für die Jugend entstanden, deren Streben nicht primär auf olympische Medaillen ausgelegt ist, aber ebenso auf den Stiftungszweck der Sporthilfe einzahlt wie Athleten olympischer und paralympischer Sportarten. Je vier BMXer, Wakeboarder und Parkour-Sportler erhalten aktuell eine monatliche Unterstützung von 500 Euro - für Prangenberg eine große Erleichterung: „Die Förderung ist unglaublich gut.
Durch ‚Our House‘ gestaltet sich mein Leben deutlich einfacher.
Jetzt kann ich mir eine eigene Wohnung mieten und unabhängiger von meinen Eltern sein.“
Eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Actionsportarten spielen die Sozialen Medien (zum Instagram-Kanal von Our House). Über sie haben die Athleten die Chance, Fotos und Videos einer Community zu präsentieren, die weit über das persönliche Umfeld hinausgeht. Die Follower-Zahl von Silke Sollfrank ist auf Instagram in den letzten zwei Jahren um 50.000 gewachsen. Für die 22-Jährige eine wichtige Grundlage, um Jobs zu bekommen. Als Parkour-Sportlerin, die sich scheinbar mühelos und fließend durch das urbane Gelände bewegt, kann man sie für Shows oder Werbe-Clips buchen.
Darüber hinaus motiviert sie über Social Media ihre Community. „Ich will mich bewegen, weil es mir guttut, aber auch, um andere zu inspirieren“, so Sollfrank. Regelmäßig bekomme sie Nachrichten oder Videos, wenn jemand Hilfe bei einem Move braucht. „Dann erkläre ich, was sie anders machen oder ausprobieren können“, coacht sie über Instagram – aber auch persönlich, wenn sie Workshops gibt, um Menschen jeden Alters ihren Sport nahezubringen und das weiterzugeben, was sie selbst glücklich macht: balancieren, sich bewegen, mit Schwüngen, Saltos, Schrauben. Begriffe, die stark ans Turnen erinnern – was die gebürtige Münchnerin in jungen Jahren auf Leistungssportniveau betrieben hat. Doch der Wettkampfgedanke und die Fokussierung auf Medaillen habe für sie bei der olympischen Sportart das Positive überdeckt.
„Ich liebe Turnen um der Bewegung willen und nicht, weil ich gegen andere gewinnen möchte.“
Ihre Passion hat die 1,52 m große Athletin deshalb beim Parkour gefunden. Dort stehe das Miteinander im Vordergrund, sich gegenseitig zu helfen, zu pushen und kreativ zu sein. „Keiner sagt Dir, was oder wie Du etwas zu tun hast“, betont Sollfrank. Selbstbestimmung ist ein zentrales Element, das szeneübergreifend auch beim Wakeboarden und BMX Freestyle gültig ist. Letzteres wird in der Disziplin „Park“ bei den Spielen in Tokio erstmals mit zum olympischen Programm gehören. Dort anzutreten kommt für Felix Prangenberg jedoch „auf keinen Fall in Frage“. Zu unkreativ, zu viele Vorgaben, und Läufe abzuliefern, nur um zu gewinnen – das seien nicht die Werte des BMX-Fahrens. „Bei uns“, so Prangenberg, „geht es vielmehr darum, mit seinen Freunden die beste Zeit zu haben, die man nur haben kann.“ Trotz der Contests, auf denen man viel Preisgeld verdienen kann, gäbe es in der Szene kein Konkurrenzdenken. Natürlich wolle jeder top performen, aber genauso freue man sich für seine Freunde, wenn sie ihr Bestes abliefern. Denjenigen – weil verhaftet im olympischen Wettkampfdenken – eine solche Einstellung unverständlich ist, sei diese mit einem Vergleich zur Musikszene nähergebracht: Auch dort gibt jeder Musiker sein Bestes und freut sich gleichzeitig über großartige Stücke, die andere performen.
Auch beim „Our House“-Trip der BMXer auf Mallorca feiert die ganze Crew Felix Prangenberg. Die ersten Male reißt es ihm das Fahrrad beim Landen auf dem harten Kopfsteinpflaster noch nach vorne weg. Doch dann steht er den riskanten Sprung von der drei Meter hohen Mauer inklusive 360-Grad-Drehung erfolgreich. Selbstredend, dass dieser Trick im ersten „Our House“-Video das Highlight ist.
(Veröffentlicht am 08.06.2020)
Zum "Our House"-Instagram-Kanal
Erschienen im Sporthilfe-Magazin go!d - Zur kompletten Ausgabe (1/2020)
Stiftung Deutsche Sporthilfe
Lucas Flümann
Projektleiter Our House
Tel.069/67803-412
MailLucas.Fluemann@sporthilfe.de