Ski- und Snowboardcross, Buckelpiste, Halfpipe, Big Air, Slopestyle oder Aerials – schon das Vokabular der Freestyle-Disziplinen zeigt einen Unterschied zu den klassischen alpinen Disziplinen wie Abfahrt oder Slalom. Dieses Mal im Schlaglicht: Drei Freestylerinnen, denen es weniger um Zeiten und Geschwindigkeiten als vielmehr um Freiheit, Performance und Style geht.
Bis Annika mit 13 Jahren zum Snowboarden kam, lag ihr Fokus auf Ballett und Eiskunstlauf. Doch der Druck im Eislaufen wurde ihr zu groß, das Einstudieren und ständige Wiederholen einer Kür machte ihr irgendwann keinen Spaß mehr. Auf der Piste dagegen war es entspannter.
„Ich fühle mich auf dem Snowboard freier, kann alles machen, was ich will.“
Heute gehört sie in den Disziplinen Slopestyle und Big Air zu den Besten der Welt. Bereits dekoriert mit Gold- und Silbermedaillen im Juniorenbereich schaffte sie es 2022 bei den Olympischen Spielen in Tokio als 19-Jährige im Slopestyle ins Finale und fuhr mit Platz acht ein historisch gutes Ergebnis ein. Nie zuvor hatte eine deutsche Athletin in dieser Disziplin bei Olympia besser abgeschnitten. Im Slopestyle, ein Kurs aus Schanzen und Geländern, ist es Annika wichtig, ihren Run auf eigene Art zusammen zu stellen. Im Wettkampf beobachtet sie genau die Konkurrenz und will sich von ihr unterscheiden. „Ich fahre dann lieber die Rail, die weniger benutzt wird.“
Im Big Air, der großen Schanze, geht es darum, Punkte für Drehungen, Salti und gute Landungen zu bekommen. Auch wichtig sei der „Style“, was einfach ausgedrückt bedeutet, dass die Tricks gut aussehen sollen – im Fachjargon heißt das, in der Drehung lange zu „grabben“ und zu „tweaken“, also das Board in der Luft festzuhalten und ein Bein durchzustrecken. Dies werde aber zum Leidwesen von Annika in letzter Zeit bei der Bewertung von den Punktrichtern vermehrt vernachlässigt. „In den letzten Jahren bekommen Leute ohne Style total viele Punkte. Wir beschweren uns oft, aber es ändert sich bisher leider nichts.“
Von der Sporthilfe wird Annika seit fünf Jahren gefördert, aktuell im Top-Team. Ihr großer Traum ist eine Olympiamedaille und die Teilnahme an den X-Games. Mit Platz sechs bei der WM 2023 im Big Air hat sie sich inzwischen noch weiter an die Podiumsplätze herangearbeitet. Ihre Stärke sieht sie jedoch gerade darin, sich keinen Druck zu machen. Zum Erlernen neuer Tricks hilft es ihr, sich selbst zu filmen. „Wenn ich etwas aufnehme, motiviert mich das enorm, dann will ich es besonders gut machen.“ Auch ihr Bruder Ethan, selbst professioneller Snowboarder, sei ihr eine wichtige Stütze. „Wenn wir auf den Berg fahren, macht er mir Tricks vor und ich mache sie nach. Er pusht mich und bringt mich weiter.“
Gebürtig in Garmisch-Partenkirchen, lebt sie heute in Innsbruck, dem Paradies für Snowboarder, wo man auch im Sommer auf einer Schanze mit Luftkissen trainieren kann. Im August beginnt ihre Saison meist in Australien und Neuseeland. „Als Snowboarder:in reist man viel. Ich bin der Sporthilfe deshalb sehr dankbar, denn die Förderung hilft mir dabei ungemein.“
Die Grundlagen für ihre aktuellen Erfolge legte Emma in der Ballettschule ihres Vaters Armin – dieser startete 1992 bei den Olympischen Winterspielen im Skiballett, damals eine Demonstrationssportart, die sich jedoch nicht im Programm durchsetzte. Anders als Aerials, das 1994 olympisch wurde und in der seine Tochter, Jahrgang 2000, heute um Medaillen kämpft.
Für Emma ist Aerials eine der komplexesten Sportarten der Welt. Die Athlet:innen fliegen dabei von einer Schanze mit fast senkrecht nach oben weisender Absprungfläche in die Luft. Punkte gibt es für Salti, Schrauben, Drehungen und die Form. Eine „Style-Wertung“ fehlt dagegen, was die Skiakrobatik von den meisten anderen Freestyle-Disziplinen unterscheidet. Ein Vorteil, wie Emma findet.
Denn Emma trainiert ganzjährig mit dem Schweizer Team. Eine deutsche Trainingsgruppe existiert nicht. „Ein Jahr kostet mich bis zu 30.000 Euro, wovon ich das meiste selbst finanziere. Die Sporthilfe ist elementar für mich, denn vom Deutschen Skiverband bekomme ich bisher leider keine Förderung.“
Warum der Verband kein Budget für die Skiakrobatik hat, kann sie sich nicht wirklich erklären. „Das deutsche Team besteht aus mir allein, da sieht der Verband vielleicht keine Nachwuchsperspektive.“ Ihr großer Wunsch ist, für ihren Sport nicht jeden Euro umdrehen zu müssen. Denn sie hat noch viel vor: „Meine Erfolge waren bisher ein Alleingang. Aber ich möchte noch bessere Leistungen bringen und plane zwei weitere olympische Zyklen, für die ich finanzielle Unterstützung benötige. Diesen Weg würde ich gerne zusammen mit meinem Verband gehen.“
Und ein zweites Thema treibt sie um: Die aktuelle Saison wird für sie in Finnland beginnen, die ersten Ski-Einheiten in den Alpen sind dagegen ausgefallen. „Es lag zu wenig Schnee, um auf der Schanze zu trainieren.
„Ich bin froh darum. Unser Fokus liegt auf der Perfektion der Bewegungen.“
Dabei sei das Schwierigkeitslimit fast gänzlich ausgereizt, auf der großen Schanze sind bis zu drei Salti möglich. „Vielleicht geht noch eine Schraube mehr, denkbar ist auch eine Vierfachschanze. Aber das wäre gesundheitlich nicht tragbar und zu gefährlich.“
Emma, die in Peking als 22-Jährige erstmals olympische Luft schnupperte, gehört inzwischen zur internationalen Spitze, bei der letzten Weltmeisterschaft wurde sie Achte. Damit gehört sie dem Olympiakader an und wird von der Sporthilfe im Top-Team gefördert. Zusätzlich erhält sie als Studentin das Deutsche Bank Sport-Stipendium und nutzt das Angebot der BMI-Altersvorsorge. Trotzdem denkt sie viel darüber nach, wie es finanziell weiter gehen kann.
Das macht mir schon Sorgen, wenn ich sehe, wie die Gletscher schmelzen, da wird der Wintersport in Zukunft ein Problem haben. Vielleicht gibt es zukünftig dann Sommer-Weltcups.“
Organisierter oder gar olympischer Sport spielte in Rosinas Kindheit kaum eine Rolle. Aufgewachsen in Bad Tölz, wo sie und ihre Eltern Selbstversorger waren, bedeutete Sport, draußen zu spielen. Anfangs stand sie auf dem Snowboard, dann mit 14 Jahren kam sie mit dem Skisport in Berührung, ihr erster Freund war Teil der Freeski-Crew. Rosina stieg um und wurde, so sagt sie, süchtig nach Skifahren. Es wurde zu ihrem Rückzugsort.
Heute ist Freestyle-Skiing ihr Beruf. Sie begann mit Rail-Contests und war die erste Frau, die in einem Männer-dominierten Sport einen Video-Contest gewinnen konnte. Erst danach wurde dank ihr eine Frauenkategorie eingeführt. Nicht erst seitdem ist sie eine Kämpferin für die weibliche Freeski-Szene. Für Rosina zählt die Community und der Lifestyle. Es geht ihr um das Ausprobieren, den eigenen Weg zu finden und darum, mit einem eigenen Style kreativ Ski zu fahren. Wettkämpfe haben sie deshalb nie wirklich gereizt. Auch einen festen Trainer hat sie nicht. Besser wird sie durch Feedback von Freunden und durch Videos. Entsprechend entwickelte sie immer mehr Leidenschaft für Filme. Dabei und generell in ihrem Sport spielt Style eine enorm wichtige Rolle. Es kommt auch mal zur sogenannten Kit-Crisis. „Das ist eine Krise, wenn man nicht weiß, was man anziehen soll“, lacht sie. „Klamotten machen bei mir etwas aus. Mit einem coolen Outfit bin ich selbstsicherer. Das führt zu besserem Style und damit auch besseren Tricks.“
Heute zählt die 33-Jährige zu den Besten in der weiblichen Freeskier-Szene in Deutschland. Ende 2021 wurde Rosina in die „Our House“-Förderung der Sporthilfe aufgenommen, über die freie Actionsportler:innen unterstützt werden. Die finanzielle Förderung ist für Rosina eine wichtige Grundlage: „Damit habe ich für eine Zeit lang Sicherheit. Sponsoren gehen auch manchmal pleite.“ Auch die Events seien super. „Bei adidas habe ich eine Mental-Trainerin kennengelernt, mit der ich seitdem zusammenarbeite. Das Netzwerk hat mich weitergebracht.“ Am liebsten fährt Rosina durch Tiefschnee jenseits der präparierten Pisten, denn in Skigebieten gibt es keinen Schnee mehr ohne Spuren.
Dann geht sie „Powdern“ und „Freeriden“. Dem Risiko ist sie sich bewusst, denn viele überschätzen sich. Ausrüstung, um jemanden nach einer Lawine auszugraben, hat sie immer dabei. Bei ihren Filmen versuchen Rosina und ihre Crew immer das Thema Nachhaltigkeit mit einzubeziehen.
„Skifahren ist nicht das Beste für die Umwelt, aber ich kann den Menschen etwas mitgeben, damit sie darüber nachdenken.“
Die globale Erwärmung spürt sie jedes Jahr, die Schnee-Tage werden immer weniger. Doch in den nächsten Monaten freut sie sich auf ihre Filmpremieren auf der Freeride-Filmtour. Auf ihren Film „Cycles“ ist Rosina besonders stolz. Ein reine Frauenproduktion über die Kraft, die im weiblichen Zyklus liegt.
(Veröffentlicht am 23.01.2024)
Erschienen im Sporthilfe Magazin - Zur kompletten Ausgabe (2.2023)