Deutschlands Mittel- und Langstreckenläuferinnen auf dem Weg zur Leichtathletik-Heim-EM in Berlin
Zugegeben: Deutschlands Leichtathletinnen als die „Kenianer Europas“ zu bezeichnen wäre wohl etwas verfrüht. Im Vergleich zur weltweit dominierenden Läufernation fehlt schließlich noch der ein oder andere große Erfolg. Fakt ist aber: Wohl nie zuvor gab es in Deutschland derart viele hochveranlagte Läuferinnen auf den Mittel- und Langdistanzen. Ob Top-Talente wie Konstanze Klosterhalfen und Alina Reh oder die vergleichsweise routinierten Gesa Felicitas Krause und Hanna Klein – vor der Heim-EM im August in Berlin mischen gleich mehrere deutsche Athletinnen die Weltspitze kräftig auf.
Vor allem im vergangenen Jahr haben die deutschen Läuferinnen international mächtig für Furore gesorgt. Zuvorderst natürlich Konstanze Klosterhalfen, die als weltweit jüngste Athletin der Geschichte drei magische Schallmauern der Leichtathletik knackte. Auf 800 Metern blieb die damals gerade 20-Jährige unter zwei Minuten (1:59,65 min), auf 1500 Meter unter vier (3:58,92 min) und auf 5000 Meter unter 15 Minuten (14:51,38 min). Von vielen Experten wird die gebürtige Bonnerin spätestens seit diesen Auftritten als „Jahrhunderttalent“ gefeiert.
Als Klosterhalfen bei der WM in London im Halbfinale über 1500 Meter etwas zu früh lossprintete und so letztlich ausschied, trat dann plötzlich Hanna Klein aus ihrem Schatten. Die 24-Jährige aus Landau in der Pfalz kämpfte sich bis ins Finale vor und wurde dort Elfte, noch vor Äthiopiens Superstar Genzebe Dibaba. Überhaupt erlebte auch Klein ein hervorragendes Jahr, verbesserte über 1500 Meter, 3000 Meter und 5000 Meter jeweils ihre persönlichen Bestzeiten, siegte mit Deutschland bei der Team-EM und gewann Ende August Gold bei der Universiade.
Ähnliches gilt auch für Alina Reh, gleicher Jahrgang wie Klosterhalfen und Spezialistin für die etwas längeren Distanzen. Die Schwäbin vom SSV Ulm glänzte mit mehreren persönlichen Bestleistungen, U23-EM-Silber über 5000 Meter und krönte ihr Jahr mit der Goldmedaille bei den Crosslauf-Europameisterschaften der U23 – direkt vor der zweitplatzierten Klosterhalfen.
Und dann ist da ja noch Gesa Felicitas Krause. Mit gerade einmal 25 Jahren ist sie bereits die Erfahrenste aus diesem starken deutschen Quartett. Bei der Weltmeisterschaft hatte die 3000-m-Hindernis-Europameisterin zwar Pech, als sie durch eine vor ihr ins Taumeln gekommene Rivalin stürzte und so alle Chancen aufs Podest einbüßte. Dass die Form beim Saisonhöhepunkt allerdings auch bei ihr gestimmt hätte, bewies sie mit der Verbesserung ihres eigenen deutschen Rekords zwei Wochen später in Berlin.
Über die Gründe für diesen erstaunlichen Aufschwung können auch die Beteiligten selbst nur spekulieren. „So richtig erklären kann ich es eigentlich nicht“, sagt beispielsweise Reh: „Natürlich pusht man sich gegenseitig durch seine Leistungen. Aber es ist ja jetzt nicht so, dass wir permanent zusammen trainieren.“
Klosterhalfen vermutet die Ursache für die rasante Entwicklung eher in einem generellen Wandel des gesamten Umfelds. „Es hat im ganzen Laufbereich einen Umbruch gegeben“, betont sie. „Wir haben junge Trainer, ein tolles Team und motivierte Athleten.“
* 6. April 1997
Sporthilfe-Förderung: seit 2010, aktuell im Deutsche Post Top-Team Future sowie in der Nachwuchselite-Förderung finanziert durch die DFL Stiftung
* 18. Februar 1997
Sporthilfe-Förderung: seit 2015, aktuell im Deutsche Post Top-Team Future
Auch Krause spürt dieses Gemeinschaftsgefühl als Antriebskraft im Hintergrund. „Ich glaube, es ist etwas ganz Besonderes, dass wir viele junge, talentierte Mädels haben, die es mit der internationalen Spitze aufnehmen können und wollen“, sagte sie Anfang des Jahres in einem Interview mit der „Rheinischen Post“.
„Dass man sich gegenseitig austauscht, ist ganz wichtig. Aber auch, dass man sich gegenseitig respektiert und die Leistungen der anderen als Ansporn sieht und sich gegenseitig pusht.“ Dass sie selbst als Vorbild für die Jüngeren dient, hört die bescheidene Krause dabei gar nicht allzu gern.
Konstanze hat ja gesagt, sie sieht mich als Vorbild, wobei ich mittlerweile eher Konstanze als Vorbild sehe. Auch sie inspiriert und motiviert mich mit ihren Zeiten.
Und doch hat Krause zweifellos großen Anteil an der aktuellen Entwicklung. Dass sie 2015 bei der WM in Peking mitten in die Phalanx der dominierenden Ostafrikanerinnen einbrach und sensationell Bronze gewann, wirkt im Nachhinein wie ein Weckruf für die deutsche Laufszene. Wo früher oft verzagt wurde angesichts der schier übermächtigen Konkurrenz aus Kenia oder Äthiopien, wuchs nun ein neuer Glaube an die eigene Stärke. „Als Gesa die WM-Medaille gewonnen hat, war das schon ein besonderer Moment“, sagt unter anderem Klosterhalfen: „So etwas zeigt einem, dass Großes möglich ist.“
Großes zu erreichen auf Strecken, die sonst von Afrikanerinnen beherrscht werden – das ist das gemeinsame Ziel der deutschen Mittel- und Langstrecklerinnen. Ein Wunsch, der alle vereint, der auf gemeinsamen Wettkämpfen oder Trainingslagern stets für einen speziellen Teamgeist sorgt. Man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich.
Und das, obwohl letztlich – trotz aller Gemeinsamkeiten – jede für sich selbst den besten Weg finden muss. „Wir sind alle noch immer Individualsportler“, sagt beispielsweise Klosterhalfen. Und Reh ergänzt: „An der Startlinie steht jeder alleine.“ In Krauses Augen ist es auch wichtig, nicht zu sehr nach links und rechts zu schauen und Vertrauen in den eigenen Weg zu haben: „Es gibt viele Wege zum Erfolg.“
Klosterhalfen wiederum zieht viel Energie fürs Laufen aus anderen Tätigkeiten. Sie spielt Querflöte und Klavier, macht Yoga und hat jüngst begonnen, einmal pro Woche Tennis zu spielen. Zudem studiert sie im vierten Semester Sportjournalismus an der Sporthochschule in Köln. „Das brauche ich unbedingt für den Kopf“, erklärt sie.
Nach Köln hat es auch Klein inzwischen verschlagen. Nach dem Bachelor-Abschluss im Fernstudium der Psychologie hat die Pfälzerin im Herbst letzten Jahres einen Master-Studiengang in der Rheinmetropole begonnen. „Damit kann ich mir dann offenhalten, ob ich später eine Ausbildung zur Psychotherapeutin mache oder nicht“, sagt sie.
Allein Krause hat sich bislang gegen eine duale Karriere entschieden und setzt voll auf den Sport. Sie gibt zu, dass es dadurch manchmal nicht leicht sei, den Kopf frei zu bekommen: „Es ist schwierig. Vom Typ her bin ich eher eine, die sich 24 Stunden am Tag mit dem Sport beschäftigt.“ Am besten ablenken könne sie sich, wenn sie Zeit mit ihrer Familie verbringe. Stunden, die sie dann ganz besonders genießt.
Gemeinsam haben diese vier durchaus unterschiedlichen Athletinnen die Förderung durch die Deutsche Sporthilfe, die für alle eine wichtige Konstante darstellt. „Ich pendele fast jeden Tag eine Stunde zum Olympiastützpunkt in Ulm“, berichtet etwa Alina Reh. „Da ist die finanzielle Spritze von der Sporthilfe extrem wichtig.“
Selbst Krause, die Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr ist, möchte die Unterstützung nicht missen. „Der Laufsport ist nicht nur zeitintensiv, sondern auch hinsichtlich der Kosten aufwendig, insbesondere wenn man die Trainingslager betrachtet, da hilft jede zusätzliche Unterstützung, um den Alltag zu finanzieren.“ Klosterhalfen betont darüber hinaus auch den ideellen Wert der Stiftung. „Es ist einfach ein schönes Gefühl, Teil der Sporthilfe-Familie zu sein“, sagt sie. „Es gibt schöne Events, die einen mit anderen Sportlern in Kontakt bringen, und vor allem beim Thema Duale Karriere ein breites Angebot. Da muss man sich nicht so den Kopf zerbrechen.“
* 3. August 1992
Sporthilfe-Förderung: seit 2008, aktuell im Top-Team
* 6. April 1993
Sporthilfe-Förderung: seit 2010, aktuell im Deutsche Post Top-Team Future
Für das Jahr 2018 bedeutet dies, dass sich das deutsche Lauf-Quartett unter anderem dank der Unterstützung der Sporthilfe voll auf das große Saisonhighlight konzentrieren kann: Die Heim-EM in Berlin vom 7. bis 12. August. Ein Event, das seinen Schatten bereits seit langem vorauswirft und das für fast alle deutschen Leichtathleten einen absoluten Karrierehöhepunkt darstellt.
Auch für Krause, Klosterhalfen, Reh und Klein liegt der Fokus natürlich längst auf der Europameisterschaft vor eigenem Publikum. Es gilt, den Weg mit schnellen Schritten Richtung Weltspitze auch in der Bundeshauptstadt erfolgreich fortzusetzen. Und auch wenn sie sich mit Kampfansagen angesichts des frühen Zeitpunkts in der Saison noch zurückhalten, gelten sie alle vier als heiße Kandidatinnen für Medaillen und gute Platzierungen.
Und wer weiß, womöglich gibt es danach ja doch einen Grund mehr, in Zukunft tatsächlich von den „Kenianern Europas“ zu sprechen.
(veröffentlicht am 14. März 2018)