Eigentlich sollte Johannes Lochner inzwischen sein Studium abgeschlossen und die Elektrofirma seines Vaters übernommen haben. Wäre da nicht großer sportlicher Erfolg "dazwischen gekommen". Bei den Olympischen Spiele in Pyeongchang zählt er nach seinem Erfolg bei der Heim-WM am Königssee zusammen mit Francesco Friedrich zu den Top-Favoriten.
Olympische Spiele? Eigentlich sah der Lebensplan von Johannes Lochner vor gar nicht allzu langer Zeit noch ganz anders aus. 2018 wollte er längst sein Studium abgeschlossen und die Elektrofirma seines Vaters übernommen haben. Doch dann kam der Erfolg in einer Sportart, die der vielseitige Athlet zu Beginn seiner Karriere mehr oder weniger nur als Hobby ausgeübt hatte – wenn auch von Beginn an mit großer Leidenschaft.
Bis Ende 2014 fuhr Johannes Lochner kein einziges internationales Rennen als Pilot, „nicht mal im Europacup, ich war ja noch viel zu schlecht.“ Da er am Start extrem schnell war, half er eine Saison als Anschieber aus. Aber das war „Hansi“ nicht genug. Der 1,90 Meter große und 95 Kilogramm schwere Modellathlet wollte nur eins: selber an den Lenkseilen sitzen.
„Im Endeffekt bin ich vier Jahre lang nur am Wochenende Bob gefahren“, erzählt er: „Bis ich dann 2015 gesagt habe: Jetzt probieren wir das Ganze mal leistungsmäßig.“ Was folgte, war ein kometenhafter Aufstieg: Weltcup-Debüt im Januar 2015 und nur wenige Wochen später: WM-Zweiter im Zweierbob. „Normal fährt man erst mal zwei bis drei Jahre Europa- und dann erst Weltcup. Was ich da gemacht habe, hat es so noch nie gegeben.“
Nach einem kleinen Rückschlag in der Folgesaison, als er die Qualifikation für den Weltcup verpasste, startete Lochner 2016 nur dank einer Wildcard bei den Weltmeisterschaften. Und wiederholte seine Leistung vom Vorjahr. Er gewann erneut die Silbermedaille im Zweier und wurde Weltmeister mit dem Team. Von der Deutschen Sporthilfe wurde er daraufhin im Oktober 2016 gemeinsam mit seinem Anschieber Joshua Bluhm zur „Juniorsportler-Mannschaft des Jahres“ gewählt.
In der Saison 2016/2017 kam der Schönauer vom Königssee dann vollständig in der Weltklasse an: Den ersten Weltcupsiegen folgten der Europameistertitel im Vierer und die Krönung bei der Heim-WM am Königssee, wo er zeitgleich mit seinem deutschen Kontrahenten Francesco Friedrich die Goldmedaille gewann. Daneben triumphierte er im Team-Wettbewerb und wurde im Zweier mit seinem Teampartner Joshua Bluhm trotz Grippe-Handicap Dritter.
Innerhalb von zwei Jahren vom Debütanten zum Weltmeister – die Trainer sprechen bei Lochner von einem Naturtalent. Er selbst erklärt es in seiner sympathischen Art und Weise auch damit, dass er von klein auf Sport gemacht und nahezu jede Wintersportart ausprobiert habe, von Ski alpin über die Nordische Kombination und Biathlon bis hin zu Eishockey. „So richtig blöd habe ich mich nirgends angestellt. Ich tue mich leicht, neue Sachen zu lernen. Vor allem dann, wenn es mit Gefühl zu tun hat.“
Schnelligkeit, Fahrgefühl, Materialarbeit und mentale Stärke – das sind längst nicht alle Eigenschaften, die ein Weltklasse-Bobpilot mitbringen muss. „Im Grunde bin ich wie der Chef einer kleinen Firma. Das beginnt damit, dass ich mein Team organisieren muss.“ Lochner hat sieben Anschieber, die mehr oder weniger quer über Deutschland verteilt sind. Für sie organisiert er gemeinsame Trainingslager, erstellt Einsatzpläne, bestimmt, wer wann welche Rennen fährt, je nach Leistungsstand. „Wichtig ist, alle immer bei Laune zu halten, sie gerecht einzusetzen“, erzählt der Bayer.
Unterstützt wird Johannes Lochner von der Deutschen Sporthilfe als Mitglied des Top-Teams und aufgrund seines WM-Erfolgs zudem in der Mercedes-Benz Elite-Förderung. Darüber hinaus wurde er in die höchste Förderstufe ElitePlus aufgenommen, die von der Sporthilfe über ihren Partner PricewaterhouseCoopers (PwC) olympischen Medaillenkandidaten zur Verfügung gestellt wird. Zudem erhält er als Student das Deutsche Bank Sport-Stipendium. Während Sponsorengelder 1:1 in Trainingslager und Materialkosten fließen, finanziert Lochner von der Sporthilfe-Förderung seinen Lebensunterhalt außerhalb des Sports. „Die Sporthilfe-Förderung ist für mich wie ein Sechser im Lotto“, schwärmt er.
Die Zeit, als Lochner seinen Sport mehr oder weniger nur am Wochenende ausübte, ist längst vorbei. Das Studium läuft zwar weiterhin parallel, jedoch vorwiegend im Sommer. Im Winter liegt der Fokus voll auf dem Sport. Die Übernahme der Firma muss ebenfalls warten. „Durch meinen sportlichen Erfolg in den letzten Jahren verschiebt sich jetzt das Rentendasein meines Dads noch um einige Jahre“, erklärt Lochner.
Da sein inzwischen 66-jähriger Vater früher selbst oft im Schlitten von Johannes‘ Onkel Rudi Lochner saß, bringt er volles Verständnis für den Filius auf. Im Vorjahr hat er sogar einen zusätzlichen Elektromeister eingestellt, damit der Sohn im Winter weiter Bobfahren kann. „Um ihm zu danken kämpfe ich Tag für Tag, um ihm eine Medaille von den Olympischen Spielen 2018 aus Pyeongchang mitzubringen.“ Am liebsten natürlich eine Goldene: „Da mein Onkel Rudi 1992 in Albertville Zweiter wurde, muss ich natürlich Gold gewinnen, sonst muss ich mir das ein Leben lang anhören.“
(Veröffentlicht am 25.10.2017)
Sportart: Bob
Wohnort: Schönau am Königssee
Verein: Bob-Club Stuttgart Solitude
Sporthilfe-Förderung: aktuell in der ElitePlus-Förderung