Für Michael Feistle hätte 2020 ein besonderes Jahr werden sollen - sowohl in sportlicher als auch in privater Hinsicht. Als Goalball-Europameister rechnete er sich gute Chancen auf eine paralympische Medaille aus. Außerdem sollte seine Lebensgefährtin endlich aus den USA nach Deutschland ziehen, Hochzeit und Flitterwochen waren ebenso geplant. Dann kam Corona und änderte diese Planung komplett. Welche Herausforderungen Michael Feistle dabei bewältigen musste, beschreibt er im folgenden Beitrag.
Anfang des Jahres hatte ich noch geplant, im März vom hessischen Marburg nach Rostock zu ziehen, da es dort die besten Grundbedingungen für die Paralympics-Vorbereitung gab. Als Team, mit dem wir im vergangenen Jahr erstmals die Europameisterschaft gewonnen hatten, wollten wir uns gemeinsam in der Ostseestadt optimal auf die Paralympics vorbereiten. Anders als in Rio vor vier Jahren rechnen wir uns diesmal durchaus gute Chancen aus, bei der Medaillenvergabe ein Wörtchen mitzureden. Im Anschluss an hoffentlich erfolgreiche und beeindruckende Spiele sollte dann im Spätsommer meine amerikanische Verlobte, ebenfalls Goalballerin, nach Deutschland ziehen. Dann wollten wir unser gemeinsames Leben starten, wir planten bereits unsere Hochzeit. Dann kam Corona.
Die Wartezeit, bis das IOC seine Entscheidung bekannt gegeben hat, fand ich unangenehm.
Zu sagen, trainiert mal schön im Lockdown weiter und wir entscheiden dann „irgendwann“, ob die Spiele stattfinden, war eine sehr unbefriedigende Situation. Die Kontaktsperre beeinträchtigt uns schon als Teamsportler extrem, einmal mehr aber auch aufgrund unserer Sehbehinderung. Wir benötigen den Körperkontakt zum Trainer, um Bewegungsabläufe besser verstehen und lernen zu können.
Ich war froh, als die Verschiebung dann doch schneller bekanntgegeben wurde, habe aber genau mit dieser Entscheidung bereits gerechnet gehabt. Danach hatte man wieder etwas Greifbares in der Hand und musste nicht mehr mit der Ungewissheit leben. Da ich mit meinen 27 Jahren noch jung genug bin, macht mir die Verlängerung nicht so viel aus. Im Gegenteil, als Team spielt uns ein zusätzliches Jahr durchaus in die Karten. Wir sind gerade auf einem aufsteigenden Ast, bislang etablierte Teams verlieren uns gegenüber an Boden.
Von daher sind wir hochmotiviert, das zusätzliche Jahr als Chance anzunehmen und zu nutzen.
Was ich jedoch nicht akzeptieren will, ist, auch unsere Heirat und das Zusammenleben um mindestens ein Jahr zu verschieben.
Geplant war, dass sich meine Verlobte mit ihrem Team bis zu den Spielen in den USA vorbereitet und anschließend zu mir nach Deutschland kommt. Aber bitte doch nicht erst 2021! Es war während des Lockdowns und Einreiseverbots nicht ganz einfach, sie zu mir nach Deutschland zu holen, aber wir haben es geschafft. In Kürze wollen wir heiraten.
Inzwischen leben wir in Berlin, wo wir uns am OSP gemeinsam auf Tokio 2021 vorbereiten. Parallel dazu studiere ich.
Diesen „Luxus“ kann ich mir nur aufgrund der Sporthilfe-Förderung leisten.
Durch die Zusage, die finanzielle Unterstützung in diesem Jahr unverändert fortzuführen, ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. Doch wie werden wir im kommenden Jahr eingestuft, wenn wir 2020 keinen Saisonhöhepunkt haben? Zum Glück hat die Sporthilfe bereits signalisiert, dass der Gutachterausschuss individuelle Lösungen suchen wird. Von daher bin ich optimistisch, dass es positiv weitergeht. Denn nachdem sich dieses Jahr komplett anders gestaltet als geplant, wollen wir für 2021 an einem Traum festhalten: Nach Tokio geht’s in die Flitterwochen nach Griechenland und ins antike Olympia – am liebsten mit zwei paralympischen Medaillen um den Hals.
(Veröffentlicht am 09.07.2020)
Erschienen im Sporthilfe-Magazin go!d - Zur kompletten Ausgabe (2/2020)