Die deutsche Nationalmannschaft im 7er-Rugby will beim anstehenden Hongkong Seven das Ticket in die Weltspitze lösen. Noch vor fünf Jahren trafen sich die Spieler in Eigenregie, heute trainiert und arbeitet die Mannschaft hochprofessionell. Dass diese Entwicklung überhaupt möglich war, hat auch viel mit der Deutschen Sporthilfe zu tun.
Der Hexenkessel brodelt, ganz Hongkong vibriert im Rugby-Fieber. Durch den Spielertunnel geht es hinaus ins restlos ausverkaufte Stadion. Im Vollsprint. Schulter an Schulter mit dem Gegner. Angetrieben vom ohrenbetäubenden Lärm der 43.000 Zuschauer. Es gebe keinerlei Regel, dass man beim Einlaufen der Mannschaften derart rennen müsse, erklärt der deutsche Rugby-Nationalspieler Tim Biniak: „Aber in Hongkong ist jeder so heiß und motiviert, dass sich die Kapitäne vorne gegenseitig überholen wollen.“ Oder wie es sein Teamkollege Carlos Soteras-Merz formuliert: „Dort zu spielen, ist einfach das Geilste überhaupt.“
Denn die „Hong Kong Sevens“ sind kein normales Turnier. Im 7er-Bereich, der olympischen Variante des Rugbysports, sind sie vielmehr die wichtigste und prestige-trächtigste Veranstaltung überhaupt. Drei Tage lang duelliert sich hier die versammelte Weltelite, die Stimmung auf den stets ausverkauften Rängen gleicht dabei oftmals einer ausgelassenen Karnevalsparty. Zusätzlich gibt es im gesamten Stadtgebiet der ehemaligen britischen Kronkolonie ein buntes Rahmenprogramm. „Eine ganze Woche über lebt diese Millionenmetropole den Rugbysport“, berichtet Manuel Wilhelm, Sportdirektor des Deutschen Rugby-Verbandes (DRV): „Für jemanden, der seine Sportart in Deutschland eher stiefmütterlich behandelt sieht, ist das ein absolutes Highlight.“
Ein Highlight, das die deutsche Mannschaft vom 6. bis 8. April 2018 nun bereits zum dritten Mal in Folge erleben darf. Im Qualifikationsturnier, ausgetragen parallel zur World-Series-Konkurrenz der 16 weltbesten Teams, geht es für die DRV-Auswahl dabei um die Eintrittskarte für die absolute Weltspitze. Hier – und nur hier – erhält der Sieger einen Startplatz für die Eliteliga des 7er-Rugbys. „Das ist genau der Schritt, der uns noch fehlt“, sagt Wilhelm. Die Teilnahme an der einjährigen World Series mit zehn Turnieren garantiert schließlich nicht nur regelmäßige Kräftemessen mit allen Rugby-Großmächten wie Australien, Neuseeland, Südafrika oder dem Olympiasieger Fidschi, sondern verspricht durch breitgestreute Sponsoringeinnahmen auch in finanzieller Hinsicht einen Quantensprung.
Dabei ist es keineswegs unrealistisch, dass der DRV-Auswahl dieser Quantensprung tatsächlich gelingt. 2016 hatte sie sich erstmals seit 24 Jahren wieder für Hongkong qualifiziert und dabei überraschend direkt das Halbfinale erreicht. Ein Jahr später stieß die deutsche Sieben dann sogar bis ins Finale vor, unterlag dort Dauer-Rivale Spanien nur knapp. Nach dem Gesetz der Serie müsste es diesmal also mit dem Turniersieg klappen. „Ganz so einfach ist es natürlich nicht, denn es gibt auch in diesem Jahr einige starke Konkurrenten“, beschwichtigt Wilhelm und verweist beispielsweise auf das neuformierte Team aus Irland oder den World-Series-Absteiger Japan: „Aber aller guten Dinge sind drei. Wir wollen es natürlich unbedingt packen.“
Die internationale Konkurrenz hat Deutschland jedenfalls längst auf dem Zettel. In den rugbyverrückten Ländern dieser Welt ist die eindrucksvolle Entwicklung der letzten Jahre nämlich keineswegs unbemerkt geblieben. Nach dem ersten Auftritt 2016 war in der Fachpresse noch von den „mysteriösen Deutschen“ die Rede. Ein Jahr später – bedingt auch durch die parallelen Achtungserfolge der 15er-Nationalmannschaft – machte dann bereits das Bild vom „schlafenden Rugby-Riesen Deutschland“ die Runde. „Achtung Germany“, warnte daraufhin die englische Sunday Times in einem großen Artikel über den Rugby-Aufschwung im Land des Fußball-Weltmeisters. Die Deutschen hätten, so zitierte die Zeitung genüsslich das alte Touristen-Klischee, „ihre Handtücher schon mal auf dem Feld platziert“.
Für uns als Team ist die Sporthilfe der Schlüssel zum Erfolg
Und tatsächlich scheint es so, als könne zumindest die 7er-Nationalmannschaft schon bald mitmischen im Konzert der Großen. Noch vor fünf Jahren trafen sich die Spieler in Eigenregie, ganz ohne Trainer und die Aussicht auf anstehende Turniere, viermal die Woche morgens zum Training in Heidelberg. Die Aufnahme des 7er-Rugby ins olympische Programm hatte viele motiviert, sich dieser rasanten Version ihres Sports mit mehr Ernsthaftigkeit zu widmen. Inzwischen trainiert und arbeitet die Mannschaft hochprofessionell, hat einen breiten Kader mit rein aufs 7er-Rugby spezialisierten Spielern und mit dem ehemaligen südafrikanischen Weltklassespieler Vuyo Zanqa einen Coach von Top-Format.
Dass diese Entwicklung überhaupt möglich war, hat derweil auch viel mit der Deutschen Sporthilfe zu tun. „Für uns als Team ist die Sporthilfe der Schlüssel zum Erfolg“, sagt Tim Biniak. Zwar kann er selbst, wie auch einige andere Spieler, auf die Unterstützung durch eine Sportförderstelle bei der Bundeswehr bauen. Für viele seiner Teamkollegen ist die Förderung der Stiftung allerdings essentiell. „Ich bin voll und ganz auf die Sporthilfe angewiesen“, sagt beispielsweise Carlos Soteras-Merz, der in Stuttgart Immobilienwirtschaft studiert und somit neben der Top-Team Future Förderung auch das Deutsche Bank Sport-Stipendium erhält. Auch am Bewerbertraining und am Sporthilfe Elite-Forum hat er bereits teilgenommen, um sich auf die Zeit nach der Karriere vorzubereiten. „Das gibt mir einfach Sicherheit“, erklärt er.
Gemeinsam mit den Verantwortlichen vom DRV hat die Sporthilfe eine individuelle Fördersystematik entwickelt: Leistungsfördernd, flexibel und mit klarem Fokus auf die Duale Karriere. „Ohne die Sporthilfe ginge gar nichts“, sagt Sportdirektor Wilhelm. „Sie ist die entscheidende Komponente, weil sie den Spielern die Zeit kauft, sich auf den Sport konzentrieren zu können.“ Und das neben Studium oder Beruf. Ein besonders wichtiges Ziel sei deshalb auch, etablierte Leistungsträger künftig nicht „auf dem Zenit ihres Schaffens“ zu verlieren, weil sie sich sonst um ihre berufliche Zukunft sorgen müssten. „Denn genau diese Spieler sollen uns noch 2020 nach Tokio bringen“, erklärt Wilhelm.
Für uns als Team ist die Sporthilfe der Schlüssel zum Erfolg
Die Teilnahme an einem Großereignis wie den Olympischen Spielen, so glauben nicht wenige in der Szene, könnte für den Rugbysport in Deutschland die entscheidende Initialzündung sein. Der Weckruf für den „schlafenden Riesen“ quasi. Die Chance, den rasanten und spektakulären Sport in der Heimat einem Millionenpublikum vor den Fernsehgeräten zu präsentieren. Das Turnier in Hongkong ist dabei ein zentraler Baustein. „Von der öffentlichen Wahrnehmung her nicht mit Olympia oder einer 15er-WM zu vergleichen, für uns aber fast wichtiger“, wie Wilhelm betont. Gelingt in Hongkong nämlich tatsächlich die Qualifikation für die World Series, können sich die Deutschen auf dem Weg nach Tokio in schöner Regelmäßigkeit mit den Besten der Besten messen – und daran selbst wachsen.
Schließlich ist die Lücke zu den absoluten Top-Nationen trotz aller Fortschritte noch immer vorhanden. Geschlossen werden kann sie nur durch eine kontinuierliche Fortsetzung der Aufbauarbeit. Auf Augenhöhe agiert die DRV-Sieben mit den Branchengrößen bislang lediglich auf einer Ebene. Wie Australiens „Wallabies“, die „Springboks“ aus Südafrika oder Neuseelands legendäre „All Blacks“ besitzt die Deutsche 7er-Mannschaft nämlich inzwischen einen Spitznamen. Nachdem sie sich in Hongkong über mehrere Minuten wie besessen auf den Gegner stürzten, verglich ein renommierter TV-Kommentator das Team mit einem Rudel Wölfe. Das „Wolfpack“ war geboren. Und es ist hungrig nach Erfolgen.
(Veröffentlicht am 23. März 2018)
Ein Tag im Trainingscamp mit der deutschen Rugby 7-er Nationalmannschaft in Kapstadt/Südafrika