BMX Freestyle: Die mit dem Bike tanzen

BMX Freestyle wird in Tokio 2020 erstmals zum olympischen Programm gehören. Die hippe Sportart soll helfen, die Spiele auch für ein jüngeres Publikum wieder attraktiver zu machen.


Evan Brandes BMX
Evan Brandes mit einem „Superman Seatgrab Indian Air“ bei den Olympischen Jugendspielen in Buenos Aires (Foto: picture alliance)

An die Kleidervorschriften musste sich Evan Brandes erst einmal gewöhnen. Er, der Freestyler, der nicht nur BMX Freestyle fährt, sondern Freestyle lebt. Er, der es gewohnt ist, seine eigenen Klamotten zu tragen, lässig und cool. Einen großen Unterschied zwischen Freizeit und Training gibt es bei dem 19-Jährigen sowieso kaum: Brandes sitzt fast pausenlos auf seinem BMX-Rad. Mit bis zu 70 Stunden Trainingsaufwand in der Woche muss er sich nicht hinter den Athleten aus traditionellen olympischen Sportarten verstecken.
BMX Freestyle ist neu im olympischen Programm und feiert in Tokio 2020 Premiere. Ihre olympische Feuertaufe erlebte die spektakuläre Sportart bereits bei den Youth Olympic Games 2018 in Buenos Aires. Evan Brandes vertrat Deutschland gemeinsam mit Lara Lessmann im Mixed-Wettbewerb. Doch es dauerte eine gewisse Zeit, bis er sich auch als Teil des Teams verstand, die „olympische Familie“ hatte zunächst etwas Berührungsängste mit dem hippen Athleten. Und das lag nicht nur daran, dass er in den ersten Tagen immer mal wieder daran erinnert werden musste, die offizielle Mannschaftskleidung zu tragen. „Anfangs hatte ich das Gefühl, dass wir als BMX Freestyler eher argwöhnisch betrachtet wurden“, erinnert sich Brandes, „so nach dem Motto: Was wollen die denn hier, das sind doch gar keine richtigen Sportler“.

Im Training fuhren die BMX Freestyler noch quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit, doch als in Buenos Aires die ersten spektakulären Videos die Runde machten, stieg das Interesse schnell. Zum Finale feuerte das gesamte deutsche Team die beiden „Neulinge“ an. Was sie sahen, war eine große Show mit spektakulären Sprüngen – und anschließend eine Siegerehrung mit deutscher Nationalhymne. Der Respekt und die Unterstützung machten Lessmann und Brandes auf einen Schlag zum Teil des Teams. Gemeinsam stellte man fest, dass es die Haltung und Leidenschaft für den Sport ist, die alle verbindet, egal in welcher Kleidung. Dass die beiden die Goldmedaille gewannen, machte es perfekt. „Ein unbeschreibliches Gefühl“, sagt Brandes.

Eines, das er bei den Olympischen Spielen in Tokio gerne wiederholen würde. Doch sich zu qualifizieren wird schwer. Gerade einmal neun Männer und neun Frauen dürfen im BMX Freestyle Park starten. Daneben gibt es noch die BMX-Wettbewerbe in der Disziplin Race, die bereits seit 2008 olympisch ist und in der sich die Athleten auch in Tokio spektakuläre Rennen liefern werden. „Freestyle Park“ hingegen ist die Kunst, akrobatische Sprünge mit kreativen Tricks zu verbinden. Gefahren wird auf einer eingegrenzten Fläche, dem Park, auf dem Rampen und „Obstacles“ aufgebaut sind. Es sieht bei den Weltklasse-Fahrern spielerisch aus und gleichzeitig verschlägt es einem bei den fast schon absurden Drehungen und Saltos in schwindelerregender Höhe den Atem. Ein Bild sagt zwar mehr als tausend Worte, doch selbst hier ist das zu kurz gegriffen. Denn auch wenn diese schon durchaus eindrucksvoll sind: Wer die Faszination des BMX Freestyle erfahren will, muss, wenn nicht schon live vor Ort, so sich doch zumindest die spektakulären Videos anschauen.

Lara Lessmann BMX
Lara Lessmann mit einem „cancan" (Foto: Jan Bekurtz)

Bei den Contests dauert ein Run eine Minute. Die Reihenfolge, in der die Rampen befahren werden, ist nicht festgelegt, jeder Fahrer kreiert seinen Run mit den jeweiligen Elementen individuell und abhängig vom Park. Je nach Ausführung gibt es entsprechend Punkte, es zählen Schwierigkeitsgrad, Technik, Style, Vielseitigkeit und Kreativität. Einen starren Punktekanon gibt es nicht, das würde dem Selbstverständnis der Freestyle-Szene widersprechen, so Jens Werner, BMX-Freestyle-Koordinator beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR): „Eine Bewertung wie beim Eiskunstlaufen oder Turmspringen wäre der Tod für unseren Sport.“ Natürlich weiß er, dass sich der Sport mit der Aufnahme in das olympische Programm verändern wird. Dennoch sieht er Olympia als Chance:

„Olympia hilft, unsere Sportart in den Fokus zu rücken und damit weiterzuentwickeln.“

Seit der Aufnahme ins olympische Programm habe sich die Förderung rasant gesteigert, man habe die volle Rückendeckung des Verbands. Mit Tobias Wicke wurde ein ehemaliger erfahrener BMX-Profi als Bundestrainer verpflichtet, zehn Athleten wurden in den Bundeskader aufgenommen und erfahren damit auch eine entsprechende Förderung durch die Deutsche Sporthilfe.

Lara Lessmann BMX
Lara Lessmann gehört zu den großen Medaillenhoffnungen für Tokio (Foto: Jan Bekurtz)

An vorderster Stelle steht Lara Lessmann. Die 19-Jährige ist das Aushängeschild der deutschen Freestyler. Seit ihrem ersten Weltcup vor zwei Jahren, bei dem sie als Jüngste im Feld direkt Zweite wurde und anschließend auch bei der WM die Silbermedaille gewann, ist die Wahl-Berlinerin aus der Weltspitze nicht mehr wegzudenken. Die Olympia-Qualifikation hat sie über die Nationenwertung (mindestens Platz fünf), in der sie als aktuelle Weltranglisten-Dritte gemeinsam mit Rebecca Berg (13.) Platz zwei einnimmt, bereits so gut wie sicher. Eine Medaille ist deshalb aber noch lange kein Selbstläufer, schon gar nicht in Gold wie bei den Olympischen Jugendspielen. „Die Fahrerinnen anderer Nationen schlafen nicht“, sagt Lessmann, „sie holen und rüsten mächtig auf.“ Den „Crankflip Barspin“, Lessmanns Spezialtrick, bei dem sie gleichzeitig Lenker und Pedale loslässt und beides jeweils um 360 Grad dreht und den sie als einzige Frau in der Welt beherrscht, findet sie bereits „out“, langweilig, nicht mehr spektakulär genug. Ohne Rückwärts- und Vorwärtssaltos gehe es nicht mehr.

Um weiterhin international mithalten zu können, wird sie aufgrund fehlender Trainingsmöglichkeiten in ihrer Heimat in der nasskalten Jahreszeit für drei Monate nach Kalifornien flüchten. Finanzieren kann sie, die im Januar gerade erst ihr Fachabitur ablegte und aktuell ein Praktikum im Mellowpark, DEM Gelände für Freestyler in Berlin, absolviert, dies insbesondere mithilfe der Sporthilfe-Förderung. Aktuell befindet sie sich im Top-Team und wird darüber hinaus in der unmittelbaren Vorbereitung auf Tokio mit der ElitePlus-Förderung unterstützt. „Ich habe Glück, dass ich mir mithilfe der Förderung das Trainingslager leisten kann, aber schöner wäre es, unter besseren Voraussetzungen zuhause trainieren zu können“, zeigt sich Lessmann dankbar, will gleichzeitig aber weiter um Unterstützung werben: „Auf jeder Sportlerehrung, auf der ich in letzter Zeit war, habe ich bei den Politikern für mehr Unterstützung geworben. Bislang leider ohne Erfolg.

Spätestens nach Tokio soll sich das ändern, das hofft auch Evan Brandes, der sich generell mehr Skate- und BMX-Anlagen wünscht. „Für BMX Freestyle brauchst du ansonsten nur ein Rad und einen Helm. Es ist eine wunderbare Sportart, um Jugendliche zur Bewegung zu animieren, an der frischen Luft, weg vom PC“, macht sich der Wolfenbütteler für die Nachwuchsförderung stark. Nach seinem Realschulabschluss begann er für ein Jahr eine Erzieherausbildung, setzte sie wegen des Leistungssports aber aus: „Ich war in den letzten drei, vier Monaten nur fünf, sechs Tage zuhause. Ein Leben ohne BMX kann ich mir nicht mehr vorstellen.“ Also gibt er jetzt Vollgas Richtung Olympia. Da eine Qualifikation über die Nationenwertung für die deutschen Herren nicht mehr möglich erscheint, konzentrieren sich die Fahrer auf die WM Anfang November in China. Dort werden zwei weitere Plätze an die besten Nationen vergeben, die bis dato noch nicht qualifiziert sind. Und wer auch immer im Erfolgsfall Deutschland in Tokio vertreten wird: Ein Problem mit der offiziellen Olympia-Bekleidung hätte dann wahrscheinlich kein Freestyler mehr.

Paul Thölen BMX
Paul Thölen mit einem „Suicide No Hand“: Zu Contests wie hier in Spanien strömen tausende Fans (Foto: Wayne Reiche)

(Veröffentlicht am 18.10.2019)



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