Für Jonathan Horne und die anderen deutschen Karateka ist 2020 ein besonderes Jahr – in Japan wird ihre Sportart zum ersten und vorerst einzigen Mal olympisch sein.
Liebe kennt bekanntlich keine Distanzen. Zwischen Jonathan Hornes Heimat- und seiner Lieblingsstadt liegen fast 9.500 Kilometer Luftlinie und eine Fahrstrecke von, würde man sie an einem Stück bewältigen, gut acht Tagen. Sein Zuhause, das ist die Stadt Kaiserslautern, in der „Jonny“ geboren wurde und in der er seit über 20 Jahren mit Coach Uwe Schwehm für seinen großen Traum trainiert. Der wird aller Voraussicht nun ausgerechnet in seiner erklärten Lieblingsstadt in Erfüllung gehen, in Tokio nämlich, bei den Olympischen Spielen im Sommer. Karate gehört dort zum ersten Mal überhaupt zum olympischen Programm.
Für den 31-jährigen Sohn eines Amerikaners und einer Deutschen geht mit der Aufnahme seiner Sportart ein lang gehegter Traum in Erfüllung. „Olympia ist für jeden Leistungssportler das größte Ziel – einfach, weil es die größte Bühne der Welt ist“, sagt Horne, der in seiner beeindruckenden Karriere außer WM-Gold noch zwei weitere WM-Medaillen, bislang fünf EM-Titel und die World Games gewonnen hat. Im Sommer hat er nun die einmalige Chance, seiner langen Erfolgsliste olympisches Edelmetall hinzuzufügen. Einmalig deswegen, weil Karate in Tokio nur als temporär-olympische Sportart mit dabei ist – und vier Jahre später in Paris wieder mit der Zuschauerrolle Vorlieb nehmen muss. Horne sagt deshalb:
„Wenn ich schon einmal da bin, dann will ich natürlich auch die Goldmedaille holen.“
Zuvor muss sich der 1,94-Meter-Hüne aber noch für die Wettkämpfe in Tokio qualifizieren. In jeder der insgesamt zehn Disziplinen gehen dort nur je acht Athleten an den Start – mitunter ist es also schwieriger, sich zu qualifizieren, als vor Ort gut abzuschneiden. Nach aktuellem Stand wäre Horne als Zweiter der Olympia-Rangliste in seiner Gewichtsklasse über 84 kg mit dabei. Bei insgesamt 24 Meisterschaften und über zwei Jahre müssen die Karateka so viele Qualifikationspunkte wie möglich sammeln, um zum Stichtag am 1. April unter den Top zwei ihrer Klasse zu stehen. Wem das nicht gelingt, der kann bei einem „Alles oder Nichts“-Turnier Anfang Mai in Paris um eines der letzten Tickets für das erlesene Teilnehmerfeld kämpfen. Eine Reise, die sich Jonny Horne trotz der nur zweieinhalb ICE-Stunden von Kaiserslautern in die französische Hauptstadt gerne ersparen würde. Läuft mit der Qualifikation alles glatt, wird sich übrigens nicht nur er sehr darüber freuen.
Horne träumt davon, gemeinsam mit seinem guten Kumpel, Stabhochspringer Raphael Holzdeppe, an den Spielen teilzunehmen. Ihn unterstützte Horne schon 2016 in Rio live vor Ort. Dort erreichte ihn damals auch die Nachricht, dass Karate ins Programm der Spiele in Japan genommen wird. „Für mich waren das große Emotionen, pure Freude – und die Hoffnung, gemeinsam mit Raphael nach Tokio zu fahren“, sagt Horne. Der Zweibrücker, Bronze-Gewinner von 2012, hat die Norm bereits in der Tasche und plant für seine dritten Olympischen Spiele. Für Horne wartet bei der Premiere im ehrwürdigen Nippon Budukan, errichtet für die Judo-Wettkämpfe bei den Olympischen Spiele 1964, noch eine andere Herausforderung: Weil für das Olympia-Turnier einzelne Gewichtsklassen zusammengelegt werden, muss der 84+ kg-Weltmeister auch mit leichteren Athleten zurechtkommen. Ein Vor- oder ein Nachteil? „Man kann nicht sagen, dass die schwerere Klasse automatisch bessere Chancen hat“, sagt Christian Grüner, Sportdirektor des Deutschen Karate-Verbands (DKV). Die Karateka aus der höheren Gewichtsklasse hätten in der Regel Reichweitenvorteile und mehr Power, die aus der niedrigeren sind oftmals beweglicher und schneller – einer der Vorteile des leichtfüßigen Jonathan Horne gegenüber anderen „Schwergewichtlern“.
Wie er mit den leichteren Konkurrenten zurechtkommt, wird spannend – zu den Medaillen-Favoriten für Tokio gehört Jonathan Horne aber so oder so. Auch, weil er nach mehreren vergebenen Anläufen bei Weltmeisterschaften inzwischen sein Mindset geändert hat. Er sieht sich nicht mehr als Gejagter, sondern als Jäger; sagt sich, er habe nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen. „Jeder kann schlagen und treten, aber im richtigen Moment mental da zu sein, im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen, ist das Schwierige“, sagt Horne. Diese Einstellung hat ihm 2018 den Weg zum ersten WM-Titel geebnet und sie soll ihn auch in Tokio zu einer Medaille führen – am liebsten zu Gold.
(Veröffentlicht am 14.02.2020)