Harte Arbeit und die nötige Fortune haben Henri Junghänel nicht nur während seiner aktiven Karriere geprägt, sondern auch danach. Ein Interview nach dem Olympiasieg 2016 ebnete seinen beruflichen Werdegang.
"Ich kann mich nicht beschweren." Ein einfacher Satz, beinahe beiläufig ausgesprochen. Klingt alltäglich, fast ein bisschen langweilig. "Ich kann mich nicht beschweren" ist die Standard-Antwort der älteren Dame von nebenan, wenn man sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigt. Im Fall von Henri Junghänel jedoch hat diese Aussage einen anderen Anstrich. Eine Art sympathisches Understatement, das ihn generell umgibt. Einen Olympiasieger, den viele vermutlich trotzdem nicht kennen. Denn der heute 31-Jährige ist weder ein Lautsprecher wie andere Goldmedaillengewinner vor ihm, noch ist seine Disziplin sonderlich für ihren Ruhm bekannt: Kleinkaliber-Liegendschießen.
Zwei Umstände, die es Junghänel nicht leichter gemacht haben, zeit seiner aktiven Karriere Sponsoren und Unterstützer zu finden. „Ich kann mich nicht beschweren“ ist in seinem Fall auch ein „Ich will mich nicht beschweren“. Die schwierigen Bedingungen für professionelle Sportschützen öffentlich anmerken? Ja. Nörgeln? Nicht sein Ding. Dabei gehört Schießen zu den am meisten unterschätzten Sportarten im Olympia-Kosmos. Fünf- bis sechsmal wöchentlich mehrere Trainingsstunden am Schießstand, höchste mentale Anspannung, dazu jeden Monat tausende Reisekilometer zu Trainings- und Wettkampfmaßnahmen. Ohne ehrliche Leidenschaft für den Sport ein nicht zu bewältigendes Programm. „Das Schießen selbst, die Gemeinschaft im Sport und das Kennenlernen verschiedener Kulturen und Länder vermisse ich auf jeden Fall“, sagt der gebürtige Leipziger. „Die harte Arbeit im Hintergrund und den hohen zeitlichen Aufwand dagegen eher weniger.“
Auch ein Grund, warum Junghänel 2017 seine Sportler-Karriere beendet und gegen das geregelte Berufsleben getauscht hat. „Im Olympia-Jahr war es teilweise mehr Sport, als es Spaß gemacht hat“, reflektiert er. „Nach Rio brauchte ich erstmal etwas Abstand.“ Im Anschluss an den darauffolgenden Urlaub war demnach Selbstfindungsphase angesagt, oder wie es der Weltschütze von 2013 beschreibt: „Jobfindungsphase“.
Und wie es die Geschichte so will, wurde diese Phase durch nicht planbare Zufälle positiv beeinflusst. Im Nachgang zu den Spielen äußerte der frisch gebackene Olympiasieger in einem Interview, dass er sich nun auf Jobsuche begeben würde. Als er wenige Tage später die Flut an Nachrichten in den sozialen Netzwerken durchforstete, fiel ihm eine besonders ins Auge. „Lieber Herr Junghänel, wenn Sie Interesse an einem innovativen Unternehmen haben, melden Sie sich gerne bei mir.“ Absender: ein Mitarbeiter der Personalabteilung eines großen deutschen Automobilkonzerns aus Stuttgart-Zuffenhausen. Sicherlich „ein super Zufall“ – doch es fällt einem schwer, diesen Umstand als pures Glück abzutun, wenn man erfährt, dass der Profisportler Junghänel in Vorbereitung auf die wichtigsten Wettkämpfe seiner Karriere das Vollzeitstudium seines Master-Studiengangs in Maschinenbau mit der Note 1,0 abschloss. Oder um es in seinen Worten zu sagen: „2016 habe ich mich nicht gelangweilt.“ Missen möchte er die Zeit seines Studiums jedoch auch nicht, schätzte er daran besonders den stetigen intellektuellen Ausgleich zum Sport.
Durch einen „weichen Übergang“ seines Sportler-Daseins ins Berufsleben scheint der Olympiasieger als mittlerweile fest angestellter Prozess-Ingenieur im Karosseriebau ebenfalls eine gute Rolle gefunden zu haben. Dass er durch eine sogenannte Berufsqualifizierungsphase an diesen Job herangeführt wurde, bezeichnet der Ex-Sportler selbst als eine Fügung, die „neutral betrachtet nicht besser hätte kommen können“. Junghänel-Style, könnte man meinen. Eine Fügung, die es ihm gleichzeitig ermöglicht, Fördergelder zurückzuzahlen. Für ihn, der insgesamt 13 Jahre in der Sporthilfe-Förderung war, eine Selbstverständlichkeit.
Es war für mich klar, dass ich das Geld zurückgeben möchte, ohne welches meine Karriere und Erfahrungen wie ein Stipendium in den USA niemals möglich gewesen wären.
Eine Aussage, die den ehemaligen Sportschützen treffend charakterisiert. Erfolge hart erarbeitend, das Glück herauskitzelnd, gleichzeitig aber auch Dankbarkeit zeigend für sein Umfeld.
*5. Februar 1988 in Leipzig
Sporthilfe-gefördert von 2004-2017
Größte Erfolge: Olympiasieger 2016, zweimal EM-Zweiter (2011 & 2013), Sieger European Games 2015
Man könnte den Redewendungen rund um die Fortune des Henri Junghänel auch das vielzitierte Glück des Tüchtigen hinzufügen. Passen tut es auf einen, der im Alter von zehn Jahren mit dem Schießsport beim SV Rai-Breitenbach begann, allemal. Der sich nach der verpassten Qualifikation zu London 2012 wieder zurückkämpfte, trotz einer frustrierenden Phase geplagt von Zweifeln. Der, laut eigener Aussage, nach zwanzig Jahren intensiver Karriere „zufrieden mit dem aktiven Sport abschließen“ konnte. Und der über sich selbst mit einem Augenzwinkern sagt, dass er „dem Glück entgegen geht“. Indem er beispielsweise zahlreiche Tombola-Lose beim Ball des Sports kauft und damit einen der Hauptgewinne zieht. Ein Auto, das er direkt wieder verkauft, um mit dem Erlös und gemeinsam mit seiner heutigen Frau Julia eine Süd- und Mittelamerika-Reise anzutreten. Der Tombolagewinn also als eine Art Fleißpreis? Nein, bei dieser Story war Henri wirklich nur im Glück.
(veröffentlicht am 17.07.2019)