Drei von zehn Athlet:innen des Olympia- und Paralympicskader waren bei ihrem Saisonhöhepunkt mental nicht voll präsent, selbst bei den Finalteilnehmer:innen der Olympischen und Paralympischen Spielen waren es noch knapp 24%. Mentale Präsenz stellt jedoch eine der wichtigsten Einflussgrößen für sportlichen Erfolg von Athlet:innen dar. Dies sind zwei der Kernergebnisse einer Studie der Deutschen Sporthochschule Köln im Auftrag der Deutschen Sporthilfe, deren vorläufige Ergebnisse heute vorab vorgestellt wurden und bei der Suche nach Ursachen des zunehmend schwächeren Abschneidens Deutschlands bei Olympischen und Paralympischen Spielen erstmals die Sicht der Athlet:innen aufzeigen. Die Ergebnisse zeigen, wie die Athlet:innen Bedingungen des persönlichen Umfelds, des Trainingsumfelds und des gesellschaftlichen Umfelds wahrnehmen und wie diese auf ihre mentale Präsenz und sportlichen Erfolg wirken.
An der Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph Breuer und PD Dr. Kirstin Hallmann (Institut für Sportökonomie und Sportmanagement der Deutschen Sporthochschule Köln) nahmen 1.122 von der Deutschen Sporthilfe geförderte Kaderathlet:innen per Online-Befragung teil. Die Erhebung fand im September und Oktober 2021 statt, die finalen Ergebnisse werden im Januar zur Verfügung stehen.
Unzureichende mentale Präsenz und damit eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit für sportlichen Erfolg können, abseits persönlicher Gründe, durch nicht hinreichende Umfeldbedingungen für die Athlet:innen verursacht sein. So sagen rund 35% aller Athlet:innen, dass es ihre finanzielle Lage ihnen nicht ermöglicht (hat), sich hinreichend auf den Sport zu konzentrieren. Selbst bei den Finalteilnehmer:innen der Olympischen und Paralympischen Spiele sind es über 21%.
Die Athlet:innen schätzen viele Unterstützungsleistungen, vor allem im Bereich der beruflichen Karriereberatung als wertvoll ein, nutzen diese aber nur wenig. Dabei bekundet ein Großteil der Athlet:innen, dass ihre persönlichen Kompetenzen, die für eine duale Karriere wichtig wären, nur mittelmäßig ausgeprägt sind. Internationale Vergleichsstudien zeigen, dass erfolgreiche Nationen wie Australien oder die Niederlande stark auf Unterstützungsleistungen für Athlet:innen setzen.
Die Trainingsinfrastruktur, also die Qualität von Trainingsanlagen und -equipment sowie Gesundheitsangeboten, erachten 77,5% (Anlagen) bzw. 77,8% (Equipment) der Befragten als gut, hier steht Deutschland im internationalen Vergleich gut da. Problematisch finden Athlet:innen allerdings die Zeitverluste für den Transfer zu den Trainingsstätten. Zudem zeichnet sich die Trainingsumgebung der Athlet:innen zu selten durch Freude an Innovation und Entwicklung (Zustimmung 73%), durch Kreativitätsförderung und damit korrespondierende Führungsstile (Zustimmung: 69%) aus. Dies dürfte ein bislang vernachlässigter Nachteil deutscher Athlet:innen im internationalen Wettbewerb darstellen.
Athlet:innen sind sehr zufrieden (87%) mit der Erreichbarkeit ihrer Trainer:innen, weniger zufrieden mit deren Expertise (72%) und Führungsstil (67%). Die wahrgenommene Expertise der Trainer:innen hat jedoch einen signifikanten Einfluss auf den sportlichen Erfolg. Im internationalen Vergleich hat Deutschland hier Nachholpotenzial, Trainer:innen in anderen Ländern erfahren bessere Aus- und Weiterbildung, arbeiten unmittelbar und unbürokratisch mit sportwissenschaftlichen Instituten zusammen und werden häufig besser vergütet als in Deutschland. Weitere signifikante Einflussfaktoren sind Aspekte der Trainingsplanung, der Trainingssteuerung, der Trainingsorganisation und die mentale Präsenz. Zur besseren mentalen Präsenz beim Saisonhöhepunkt wiederum tragen Medientrainings, Zufriedenheit mit der Expertise der Trainer:innen, sportwissenschaftliche Beratung und ein individueller, auf Leistungsdiagnostik basierender Trainingsplan bei.
Neben dem persönlichen Umfeld und dem unmittelbaren Trainingsumfeld hat auch die gesellschaftliche Wahrnehmung des Spitzensports und seiner Protagonist:innen einen Einfluss auf die sportliche Leistung. Hierzu legt die Studie nahe, dass individuelle sportliche Leistungen in Deutschland teilweise weniger wertgeschätzt werden, als dies in erfolgreichen Sportnationen der Fall ist. Nur 56% der deutschen Athlet:innen fühlen sich durch die Gesellschaft insgesamt wertgeschätzt, bei der Wertschätzung durch die Medien fällt diese Zahl auf 37% und gar auf nur 31% durch die Politik.