Heute Nacht beginnen die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Kribbelt es schon bei Ihnen?
Absolut. Ich bin schon jetzt sehr nervös, ich fiebere den Schwimmwettkämpfen regelrecht entgegen. Mehrere Sportler sind in Rio vor Ort, die ich unmittelbar betreue – bzw. im Fall von Dorothea Brandt bin ich ja auch der direkte Trainer im Kraftbereich, andere Athleten berate ich bzgl. Ernährung und orthopädisch. Das ist eine ganz neue Situation für mich. Als Sportler war ich ein absoluter Wettkampftyp, da konnte ich alles persönlich steuern. Jetzt sitze ich nur zuhause vor dem Fernseher und kann nichts tun. Ich kann nicht mitschwimmen, nicht anschieben. Wenn ich es könnte, würde ich es tun.
Was erwarten Sie von den deutschen Schwimmern in Rio?
Der herausragende Athlet aus deutscher Sicht ist sicherlich Marco Koch. Er ist aktuell weltweit der kompletteste und beste Brustschwimmer. Aber auch für ihn wird es nicht leicht, eine Medaille zu gewinnen. Er hat selbst gesagt, für Gold muss er wahrscheinlich Weltrekord schwimmen. Und dafür braucht man einfach einen perfekten Tag. Das wünsche ich ihm für Rio. Genauso gut kann er das perfekte Rennen aber auch erst eine Woche später haben. Ein bisschen Glück gehört auch dazu.
Gibt es weitere deutsche Medaillenkandidaten?
Die Entwicklung im deutschen Schwimmsport ist da, jedoch sind wir international noch nicht ganz top vertreten. Aber mit vierten, fünften, sechsten Plätzen können wir sehr zufrieden sein. Es wird ja oft verkannt, was für sehr harte Arbeit dahinter steckt. Ich werte eine Endlaufteilnahme auch als einen Sieg. Man darf nicht immer nur die Medaille sehen. Der Einsatz, den ein Sportler für solch eine Platzierung in all den Jahren vorher erbringt, die Entbehrungen und die Zeit, die da rein gesteckt werden, sind ja identisch. Und herausragend. Das geht leider beim Medaillenzählen oft unter. Wichtig für mich ist, dass die Leistung sauber erbracht wird. Und in Deutschland sind wir da sehr sauber. Für alle kann ich natürlich meine Hand nicht ins Feuer legen, aber ich kenne viele, von denen ich weiß, dass sie nichts Unerlaubtes tun. Und wenn man einen sauberen Sport hat, muss man sich aktuell vielleicht damit abfinden, nur wenige Medaillen zu gewinnen.
Wie empfinden Sie in dem Zusammenhang die Entscheidung des IOC, Russland nicht komplett von den Spielen auszuschließen?
Bei dieser Frage tue ich mich extrem schwer mit einer Antwort. Es war mit Sicherheit eine sehr schwierige Entscheidung – und ich bin froh, hier nicht in der Verantwortung zu stehen. Inzwischen gibt es ja zwei entgegengesetzte Lager. Sonst habe ich ja eigentlich zu allem eine Meinung, insbesondere zum Thema Doping, und halte damit auch nicht zurück. Aber das Thema jetzt ist in meinen Augen um einiges komplexer. Ich kann diese Frage nicht auf den Sport reduzieren. Für mich spielt hier auch die weltpolitische Situation eine Rolle. Die Gesamtlage bedrückt mich sehr und das sportliche Problem rückt für mich dabei deshalb in den Hintergrund. Zum ersten Mal nehme ich für mich eine solche Entscheidung einfach hin. Ich kann sie aus Sicht des Sports nicht befürworten, aus gesellschaftspolitischer Sicht aber auch nicht kritisieren.
Eine Frage, die rund um Olympische Spiele immer wieder aufkommt, ist, wie Medaillen prämiert werden sollten. Schwimm-Bundestrainer Henning Lambertz hat aktuell seine Vorstellung wiederholt, einen Olympiasieg mit 1 Million Euro zu honorieren.
Der Grundgedanke, den ich hier sehe, ist, für junge Menschen Anreize zu schaffen, um sich auch in Zukunft überhaupt auf das Abenteuer Leistungssport einzulassen. Insofern stimme ich Henning vom Grundsatz her zu. Für mich kommt es hierbei jedoch auf das dahinterstehende Konzept an. Sportler sollen durch einen Sieg bei Olympia nicht reich werden und sich dann Porsche oder Ferraris kaufen können. Aber sie sollen durch den Sport auch keinen Nachteil im späteren Leben haben. Einerseits bringt der Sport dem einzelnen sehr viele Vorteile, angefangen von der Persönlichkeitsentwicklung über die Menschen und Länder, die man kennenlernt, bis hin zu den Werten, die der Sport vermittelt, um nur einiges zu nennen. Es entstehen aber auch Nachteile, wenn durch das viele Training und Wettkämpfe beispielsweise das Studium länger dauert. Mir persönlich wäre zum Beispiel eine Chefarzt-Karriere schwer gefallen, weil einfach ein paar berufliche Jahre gefehlt hätten. Deswegen plädiere ich dafür, dass die Gesellschaft für die Athleten, die den Staat bei internationalen Großereignissen repräsentieren, Verantwortung übernimmt, in der Art, dass eine Prämie – ob das 1 Million sein muss, sei jetzt mal dahin gestellt – zweckgebunden eingesetzt wird. Mir hätte es geholfen, nach der Karriere mit einer solchen finanziellen Unterstützung meinen Facharzt machen und eine Praxis aufmachen zu können. Ich habe es beruflich auch so geschafft, aber manche bleiben eben auf der Strecke. Das Schlechteste, was uns passieren könnte, ist, wenn unsere Olympiasieger später Hartz-IV-Empfänger werden. Denn der Sport, und der Leistungssport dabei als Zugpferd, ist mit das beste soziale Auffangbecken, das wir haben und eine sehr gute Schule. Das dürfen wir bei der ganzen Diskussion nicht übersehen, sondern in das Gesamtbild der Bedeutung des Sports in unserer Gesellschaft einordnen.
Wie bewerten Sie diesbezüglich die Arbeit der Deutschen Sporthilfe?
Mein Blick ist zweigeteilt. Zum einen sehe ich die Unterstützung während meiner eigenen Karriere. Als junger Athlet wurde ich finanziell insofern gut unterstützt, dass ich damit meine weiten Trainingswege finanzieren konnte. Aber eine Optimal-Förderung habe ich damals sicherlich nicht erhalten. Erst war ich zu jung, bei meinen späteren Erfolgen dann schon wieder zu alt. Über meine gesamte Karriere habe ich im Grunde das Gefühl, durch die Förderung durchgefallen zu sein. Eine duale Karriere war damals weder bei den Trainern noch bei der Deutschen Sporthilfe im Fokus. Ich habe auf eigene Verantwortung hin studiert, habe Glück, dass ich alles erfolgreich verbinden konnte. Seitdem ich im Gutachterausschuss mitarbeite, hat sich mein Bild von der Deutschen Sporthilfe jedoch sehr zum Positiven gewandelt.
Inwiefern?
Die Arbeit der Sporthilfe hat sich verändert. Es geht nicht mehr nur um finanzielle Unterstützung, sondern die Duale Karriere ist in den Mittelpunkt gerückt. Das ist ganz in meinem Sinne. Die Initiative „Sprungbrett Zukunft“ – von Kurzzeit-Praktika über Kennwort-Bewerbung bis hin zum Mentorenprogramm – ist extrem wichtig. Das ist der Anschub, den die Athleten brauchen. Das geht in die Richtung, die ich eben beim Thema Prämien angesprochen habe. Es darf nicht nach dem Gießkannenprinzip gefördert werden - die Besten sollen auch die beste Förderung bekommen -, aber auch nicht nach dem Motto „aus der Leistung aus dem Sinn“. Die Sporthilfe übernimmt hier Verantwortung für die Athleten, hilft ihnen beim Übergang in den Beruf. Das sollte junge Talente bei der Entscheidung für den Leistungssport bestärken. Und dann können wir uns hoffentlich auch in Zukunft an herausragenden Leistungen deutscher Athleten bei Olympischen Spielen und anderen Großereignissen freuen.
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Zur Person:
Mark Warnecke gewann 1996 bei den Olympischen Sommerspielen in Atlanta im Schwimmen über 100 m Brust die Bronzemedaille. Ein Jahr zuvor war er über die gleiche Strecke auf der Kurzbahn zum ersten Mal Weltmeister geworden. Bei den Schwimm-Weltmeisterschaften 2005 in Montréal gewann er die Goldmedaille über 50 m Brust und wurde damit im Alter von 35 Jahren der älteste Weltmeister in der Geschichte des Schwimmsports. Von der Deutschen Sporthilfe wurde der mehrfache Europameister mit Unterbrechungen von 1985 bis zu seinem Karriereende im Jahr 2007 gefördert, 2013 trat er emadeus – dem Club der Sporthilfe-Athleten bei. Der heute 46-Jährige studierte parallel zum Leistungssport Humanmedizin und eröffnete 2009 mit einem Kollegen in Witten eine eigene Praxis. Vor seinem WM-Triumpf 2005 hatte er für seine eigene Diät ein Aminosäurepräparat entwickelt, das in der Folgezeit so nachgefragt wurde, dass Warnecke die Sporternährungsmarke AMSPORT gründete. Heute ist der gebürtige Bochumer zugleich Unternehmer, Arzt, Trainer und Ernährungsberater. Seit 2016 ist er zudem Mitglied im Gutachterausschuss der Deutschen Sporthilfe.
12 bis 15 Mal im Jahr kommen die ehrenamtlich arbeitenden Mitglieder zusammen, um in Abstimmung mit dem Vorstand die Förderungsmaßnahmen der Deutschen Sporthilfe zu beschließen - von der C-Kader-Förderung über die Bezuschussung von Nachholunterricht bis hin zu Leistungsprämien. Die Mitglieder: Dr. Christian Bassemir (Hockey), Petra Behle (Biathlon), Olaf Heukrodt (Kanu), Alexander Koch (Fechten), Steffi Nerius (Leichtathletik), Mark Warnecke (Schwimmen), Frank Wieneke (Judo), Dirk Schimmelpfennig (Vertreter des DOSB), Dr. Bernhard Flümann (ständiger Gast des BMI)
Abdruck honorarfrei.
Quelle: Deutsche Sporthilfe