Rollstuhlbasketballerin Annabel Breuer gewann schon zwei paralympische Medaillen, auf eine mögliche dritte in Tokio muss sie nun ein Jahr länger warten. Bis dahin will die 27-Jährige ihr Psychologie-Studium weitervoranbringen und im Herbst 2021 – idealerweise Edelmetall-dekoriert – ihren Master in Gießen abschließen. Nun steht sie zur Wahl zum "Sport-Stipendiat des Jahres 2020".
Annabel, ursprünglich hätten für Dich in diesem Sommer Deine bereits dritten Paralympics angestanden – jetzt musst Du darauf noch zwölf Monate warten. Wie gehst Du damit um?
Stimmt, wahrscheinlich wäre ich gerade mit der Nationalmannschaft in einem Trainingslager im Ausland und hätte in diesem Sommersemester deutlich weniger für die Uni getan. Mein Studienplan wird durch Corona etwas über den Haufen geworfen. Glück im Unglück war, dass die Paralympics gerade noch rechtzeitig vor Semesterstart verschoben wurden und ich mich für ein paar Kurse mehr anmelden konnte. Eigentlich hätte ich jetzt auch Zeit für mein achtwöchiges Pflichtpraktikum, aber wegen Corona gibt es dafür leider gerade keine Stellen.
Immerhin ist das deutsche Rollstuhlbasketball-Team der Frauen bereits für Tokio qualifiziert. Wie groß war die Erleichterung, nach EM-Bronze 2019 dabei zu sein?
Bei mir persönlich und auch beim Trainerteam war die Erleichterung schon sehr groß. Wir hatten vor zwei Jahren einen großen Umbruch, vergangenes Jahr legten noch einmal drei Stammspielerinnen eine Pause ein, die für Tokio nun zurückkehren werden. Daher sind wir mit einem sehr unerfahrenen Team und mit großem Respekt in die EM gegangen.
Durch die Coronakrise wurden Du und Deine Teamkolleginnen quasi über Nacht zum Nichtstun verdammt. Was macht das mit einer Leistungssportlerin?
Das war schon hart. Ich habe mir Sorgen um meine Fitness gemacht und im Homeoffice sportartspezifisch zu trainieren, ist bei uns Rollstuhlbasketballern auch nur schwer möglich. Einen Basketball hatte ich jetzt übrigens auch schon länger nicht mehr in den Händen.
Du studierst im Master Psychologie. Hast Du in dieser besonderen Situation Inhalte aus dem Studium im „echten Leben“ wiedergefunden?
Tatsächlich habe ich festgestellt, dass Basketball und Sport allgemein für mich wichtige Komponenten sind, wenn es mal an der Uni oder sonst wo nicht so gut läuft.
In der Psychologie spricht man da von einem Resilienz-Faktor. Dieser Ausgleich ist natürlich nun weggefallen. Stressbewältigungsstrategien muss ich mir nun anders aneignen.
Im vergangenen Jahr hast Du vor der EM Deine Bachelorarbeit geschrieben – und nicht nur bestanden, sondern mit einer sehr guten Note auch die Zulassung für den Master erreicht.
Das war enorm wichtig, da habe ich mir auch sehr viel Druck gemacht.
Dass ich nun neben dem Sport auch weiterhin in Gießen bleiben und studieren kann, war entscheidend – anders hätte ich nicht gewusst, wie es für mich nach dem Bachelor weitergegangen wäre.
In Deinem Bundesligaverein in Wetzlar spielst Du ausschließlich mit Männern zusammen. Wie funktioniert das für Dich?
Eigentlich sehr gut, es herrscht auf jeden Fall weniger Zickenkrieg (lacht). Sonst werde ich aber nicht anders behandelt, nur, weil ich eine Frau bin – das ist mir auch sehr wichtig. Mit und gegen Männer zu spielen, ist für mich das beste Training, das ich mir wünschen könnte.
Viel Freizeit bleibt da nicht. Wie wichtig ist für Dich die Unterstützung durch die Deutsche Sporthilfe und das Deutsche Bank Sport-Stipendium?
Freizeit habe ich in der Tat nicht wirklich viel, in der Regel komme ich abends von Uni und Training nach Hause und könnte sofort wieder ins Bett gehen. Aber ich denke, diesen Stress brauche ich auch irgendwie.
Durch die Sporthilfe und das Deutsche Bank Sport-Stipendium muss ich mir finanziell keine Sorgen machen, das ist sehr wichtig.
Müsste ich parallel noch einen Nebenjob ausüben, würden Sport oder Studium oder sogar beides darunter leiden.
Deine Karriere begonnen hast Du als Rollstuhlfechterin, wurdest in dieser Sportart 2009 sogar von der Sporthilfe als „Juniorsportlerin des Jahres“ ausgezeichnet. Wie kam der Wechsel zum Basketball zustande?
Für einige Jahre habe ich Rollstuhlbasketball und -fechten parallel betrieben, aber nach und nach habe ich meine Passion für den Mannschaftssport entwickelt. Mit einem Team zu reisen, gemeinsam zu gewinnen und auch mal zu verlieren, gibt mir persönlich mehr als der doch sehr individuelle Fechtsport.
Tokio 2021 werden Deine dritten Paralympics sein – wie ist die Perspektive für danach?
Wie es nach den Paralympics und dem nahenden Studienende aussieht, da bin ich noch nicht ganz sicher. Den Sport neben einer Vollzeitstelle auszuüben, ist sicher hart. Aber erst einmal habe ich ja noch ein Jahr Zeit, mir dazu Gedanken zu machen.
(Veröffentlicht am 06.07.2020)
Geburtstag | 23. Oktober 1992 in Tübingen |
Sportart | Rollstuhlbasketball |
Wohnort | Gießen |
Verein | RSV Lahn-Dill |
Größte Erfolge | Paralympics-Gold 2012, Paralympics-Silber 2016, WM-Silber (2010, 2014), EM-Gold, -Silber und -Bronze (2009, Fechten) |
Studium | Psychologie (Master) |
Universität | Justus-Liebig-Universität Gießen |