Christopher Rühr gewann im Januar diesen Jahres in Indien mit der Hockeynationalmannschaft der Herren den Weltmeistertitel. Parallel zu seiner Spitzensportkarriere studiert der 29-Jährige Humanmedizin an der Universität zu Köln. Darüber hinaus engagiert der Kölner sich gleich in mehreren sozialen Projekten – und träumt von olympischen Gold in Paris im nächsten Jahr.
Christopher, in wenigen Tagen, am 18. August, beginnt die Heim-EM im Hockey in Mönchengladbach…
… und ich spiele nicht mit. Ende August schreibe ich eine sehr, sehr wichtige Klausur, die ich nicht verschieben kann. Entsprechend sitze ich diesen Sommer am Schreibtisch, anstatt auf dem Hockey-Platz zu stehen. Das ist extrem schade, zumal man als Spieler wohl nur einmal eine Heim-EM erleben wird. Aber wenn ich ein bisschen darüber hinaus in meine Zukunft blicke, dann macht das durchaus Sinn, denn die Prüfung ist ein Teil meines Physikums, das ich hoffentlich erfolgreich abschließen werde. Im Wintersemester vor den Olympischen Spielen in Paris wäre das definitiv nicht möglich, von daher ist das jetzt die einzige Chance.
Wie ist es möglich, parallel zur Bundesliga und den vielen Nationalmannschaftseinsätzen Humanmedizin zu studieren?
Es ist durchaus schwierig, da wir im Medizinstudium sehr viele Pflicht- und Anwesenheitstermine haben. Ohne die Unterstützung der Kölner Universität, die Leistungssportlern wie mir Ausnahmeregelungen gewährt, wäre das kaum möglich.
Die größte Herausforderung ist trotzdem, realistisch einzuschätzen, was ich neben dem vollen Hockey-Jahreskalender schaffen kann.
Dies ist mir bisher immer gut gelungen, ich konnte Stück für Stück mein Studium voranbringen und trotzdem meine größten sportlichen Erfolge feiern. Das Gesamtpaket macht mich auf jeden Fall stolz. Trotzdem sehe ich noch Verbesserungspotential, vor allem im akademischen Teil der Karriere. Mein Weg ist einfach langsamer als der von ordinär Studierenden.
Und dabei hattest Du bereits acht Jahre auf Deinen Studienplatz warten müssen.
Ich hatte versucht, die Wartezeit mit einer Ausbildung zu überbrücken, die mich auf das Studium vorbereitet. Aber dort gab es keinerlei Flexibilität in Bezug auf Fehlzeiten. Deshalb habe ich einen Antrag beim Bundesinnenministerium für Inneres und Sport gestellt, mehr Fehlzeiten haben zu dürfen, während ich mit der Nationalmannschaft unser Land vertrete. Der wurde abgelehnt mit Verweis aufs Grundgesetz und dort auf den Paragrafen des Gleichheitsgesetztes, sprich, dass ich gegenüber meinen Mitschüler:innen keine Extrawurst haben darf. Das war für mich ein heftiger Schlag ins Gesicht, den ich nicht so schnell verkraftet habe.
Den Traum vom Medizinstudium hast Du trotzdem nie aufgegeben?
Ich habe nach dem negativen Bescheid vom BMI beschlossen, erstmal den Fokus auf den Sport zu legen. Das hat auch ganz gut funktioniert. Trotzdem waren die acht Jahre eine harte Zeit. Auch der Einstieg ins Studium war nicht einfach, weil ich dann doch mehrere Jahre nicht mehr strukturiert gelernt hatte. Zudem ist der fehlende Kontakt zu Kommiliton:innen eine riesengroße Herausforderung. Diese treffen sich oft abends und am Wochenende, um gemeinsam zu lernen. Dadurch taucht man tief in die Themen ein und der Lernstoff festigt sich. Bei mir ist abends Training und an Wochenenden sind Spieltage. Beim Lernen auf sich allein gestellt zu sein, ist sehr nachteilig. Aber mein Traum war und ist, Medizin zu studieren, und jetzt mache ich das Beste daraus.
Wie kann die Sporthilfe und das Deutsche Bank Sport-Stipendium an der Stelle unterstützen?
Zunächst mal hilft es mit, das Studium voranzutreiben, weil man das Stipendium nur dann weiterhin erhält, wenn man auch entsprechende Leistungen erbringt. Das andere ist natürlich das Finanzielle: Die Unterstützung ist Gold wert. Ohne das Deutsche Bank Sport-Stipendium könnte ich und könnten viele weitere Studierende unseren Sport nicht oder zumindest nicht in der Form ausüben. Die Sporthilfe-Förderung ist wie eine Lebensversicherung – denn abgesehen von der Sporthilfe sind die finanziellen Zuwendungen in Sportarten wie Hockey sehr limitiert.
Deshalb engagierst Du Dich auch im Verbund Kölner Athleten, die in Deiner Stadt für mehr Sichtbarkeit und Unterstützung für die lokalen Topathleten kämpfen?
Eine Unterstützung auch von anderen Seiten und damit noch etwas mehr finanzielles Polster würde mental helfen, da man sich weniger Druck machen müsste, das Studium maximal schnell fertig zu machen. Wenn man durch die Förderung nicht nur seinen Lebensunterhalt finanzieren, sondern sich auch noch ein, zwei Euro zur Seite legen kann, um damit nach dem Ende der sportlichen Karriere zu Ende studieren zu können, ohne am Existenzminimum zu kratzen, täte das gut. Ich denke, das ist für viele Athlet:innen ein Thema. Deshalb engagiere ich mich zusammen mit Teamkameraden und Athlet:innen aus anderen olympischen Sportarten dafür.
Und nicht nur dafür, Dein soziales Engagement geht noch viel weiter…
Die verschiedenen Projekte sind alles Herzensangelegenheiten. Als Botschafter unterstütze ich mit RightToPlay ein Kinderhilfswerk, das in Entwicklungsländern durch Spiel und Spaß Kindern Wissen und Fähigkeiten wie Geschlechtergerechtigkeit, Friedensförderung und Selbstwertgefühl vermittelt. Zusätzlich habe ich finanziell, mit Hockey- und weiterem Sportequipment und durch meine Reichweite den Sierra Leone Hockey Trust unterstützt. Dieser hat eine eigene Hockeyliga mit mehreren Vereinen gegründet und den landesweit ersten Kunstrasenplatz verlegt. Dann ist es mir auch ganz wichtig, Erfahrungen weiterzugeben und den nächsten Generationen zu zeigen, was positiv und herausfordernd auf sie zukommt, wenn sie Leistungssport und eine duale Karriere anstreben. Mit meiner Partnerin [Hockey-Nationalspielerin Nike Lorenz; Anmerk. d. Redaktion] arbeite ich aktuell an einer eigenen Camp-Reihe, mit der wir Kindern einerseits Hockey-Skills, andererseits vor allem auch Soft-Skills wie Diversity, Umgang mit Diskriminierung im Alltag, Ernährung und Nachhaltigkeit beibringen. Wir wollen unsere Reichweite und Bekanntheit nutzen und unser Wissen teilen.
All die Menschen, mit denen ich in den Projekten zusammenarbeite, sind sehr besonders und ich bin froh, helfen zu können und die Welt dadurch ein Stückchen besser zu machen.
Was treibt Dich im Sport noch an – nach dem Gewinn des Weltmeistertitels und Olympia-Bronze 2016?
Tatsächlich ist nach dem WM-Titel eine kleine Sättigung eingetreten, die glücklicherweise nur ein paar Wochen angehalten hat. Aber ein Jahr vor Olympia denke ich, dass sich Olympia-Gold doch auch noch ganz gut in meinem Schrank machen würde. Von daher treibt mich einerseits dieses Ziel an, andererseits aber auch immer noch der Spaß. Es macht einfach unfassbar viel Bock, mit meinem besten Freunden zum Training zu gehen und Hockey zu spielen.
Und während der Heim-EM in Mönchengladbach wirst Du …
… auf jeden Fall ins Stadion gehen und der größte Fan der Jungs sein – und der Mädels natürlich auch – und anfeuern, so dass sie hoffentlich den nächsten Titel einfahren und damit gleichzeitig das Olympia-Ticket lösen.
Geburtsdatum: 19. Dezember 1993 in Düsseldorf
Sportart: Hockey
Wohnort: Köln
Größte Erfolge:
Weltmeister 2023
Olympia-Bronze 2016
EM-Zweiter 2015 & 2021
Studium: Humanmedizin
Universität: Universität zu Köln
Die Deutsche Bank, seit 2008 Nationaler Förderer der Deutschen Sporthilfe, unterstützt im Rahmen der Sporthilfe-Förderung studierende Spitzenathlet:innen mit dem Deutsche Bank Sport-Stipendium. Aktuell profitieren etwa 350 Sporthilfe-geförderte Athlet:innen von dem Programm, das mit einem Zeitbonus über die Regelstudienzeit hinaus gewährt wird. Die besonderen Leistungen der studierenden Athlet:innen werden mit der Wahl „Sport-Stipendiat:in des Jahres“ zusätzlich gewürdigt. Die Deutsche Bank verdoppelt dem bzw. der Sieger:in das Stipendium für 18 Monate. Die vier weiteren Finalist:innen erhalten für den gleichen Zeitraum eine Zusatzförderung von 50 Prozent des monatlichen Stipendiums.